Für einige Tage bin ich in Alexandria, der zweitgrössten
Stadt Ägyptens. Zu Zeiten der Römer hiess „Alexandria bei Ägypten“.
Heute ist Alexandria mitten in Ägypten; zu seinem Nachteil. Ich war
sechs Jahre lang nicht mehr da und alles, was damals schon unschön oder
schlecht war, ist noch schlimmer geworden. Alexandria war während Jahrzehnten
eindeutig die schönste Stadt im Land. Das hatte sie den Ausländern zu
verdanken, die sich hier niedergelassen hatten. Und natürlich dem Mittelmeer.
Viele Ausländer haben das Land verlassen, bzw. wurden vertrieben und das
Mittelmeer hat sich im Stadtzentrum zu einer stinkenden Kloake verwandelt.
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Am Meer sitzen und Cappuccino trinken. Der Wind ist kühler
als am Roten Meer. Die Wellen schwappen an die Steinquader unter mir und spielen
Ringelreigen mit Plastiksäcken und -flaschen, Chips-Packungen und
Zigarettenschachteln. Zwei Schnorchler mit Metalldetektoren suchen in der
dunklen Brühe nach verlorenem Gold- und Silberschmuck. Das bringt Geld.
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Im Auto vom Flughafen Borg El Arab (der näher gelegene Nozha
Flughafen wird seit Jahren „renoviert“, wie das euphemistisch heisst) nach
Montaza; im Auto von Montaza nach Raml Station und zurück im unbequemen
winzigen Taxi (Typ Lada) ohne Klimaanlage; im Taxi von Montaza nach Smouha; im
Auto nach Downtown zur Hochzeitsfeier und zurück nach Montaza; mit dem Minibus
nach San Stefano und zurück; mit dem Minibus nach … und zurück; mit dem Auto
nach Torson und retour nach Raml Station und … Ich verbringe Stunden um Stunden
im Auto sitzend, schwitzend (ohne Klimaanlage), frierend (mit Klimaanlage) und beobachtend.
Von den Abgasen und dem Stop-and-go wird mir regelmässig schlecht. Vor mir,
hinter mir, links und rechts neben mir wälzt sich eine Blechschlange Zentimeter
an Zentimeter über Dutzende von Kilometern der Küste entlang, quer durch die
Innenstadt, hinein in die versteckten, viel zu schmalen Gassen, hinaus in die
Wüste, wo Einkaufszentren, Vergnügungsviertel und die Wüstenstrasse nach Kairo
liegen. Minibusse, Rauchwolken qualmende Taxis, hupende Motorradfahrer und
ungeduldige PWs drängen und verdrängen sich, klemmen sich ein, schimpfen und
entschuldigen sich. Zu allem Überdruss gibt es immer wieder Checkpoints der
Polizei. Der Lärm ist ohrenbetäubend und stresst. Kein Fahrzeug ohne Beule oder
Schramme.
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In der Nacht sind alle Katzen schwarz und so erscheint die
Küstenlinie Alexandrias in der Nacht auf Anhieb wunderschön. Die Wolkenkratzer
schimmern über die zahlreichen Buchten, die von Cafés und Vergnügungsmöglichkeiten
vereinnahmt werden. Abends wälzt sich der Verkehr erleuchtet durch die
Strassen.
Vor dem Montaza-Park |
Zwei Müllmänner schaufeln geschätzte 10 Kubikmeter Abfall in einen
umgekippten Plastikcontainer; dieser wird in den bereit stehenden Müllwagen
gekippt; der Chauffeur schläft. Es braucht Zeit… Das wiederholt sich an diversen
Stellen und jede Nacht… an der berühmten Corniche! In anderen Strassen, nur
wenige Meter abseits gelegen, türmt sich der Abfall OHNE dass er jeden Abend
weggeräumt wird. Auf Schritt und Tritt liegt Abfall, Schmutz, Weggeworfenes.
Zusammen mit der hohen Luftfeuchtigkeit und den auf die Gehsteige tropfende
Flüssigkeit der Klimaanlagen wird das eine glitschige, stinkende Angelegenheit.
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Strom ist rar, Stromunterbrüche sind an der Tagesordnung.
Strom gespart wird trotzdem nicht. Seit Tagen brennt ein Balkonlicht gegenüber.
Der Wind zerrt am Vorhang des offen stehenden Fensters. Wenn ich mein
Hotelzimmer verlasse, gehen weder Klimaanlage noch Licht aus – obwohl ich die
Karte für die zentrale Stromsteuerung mitnehme.
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Menschen stehen, gehen, spazieren in den Gassen, auf den
Strassen und Gehsteigen. Sie sitzen rauchend, trinkend und schwatzend in den
Cafés, lungern zu Tausenden an der Corniche herum, quetschen sich in Minibusse
und viel zu enge Taxis, drängen sich in den Geschäften nach vorne, rennen in
Todesgefahr über die vierspurige Fahrbahn. Menschen überall. Sie reden ins
Telefon, schreien ihre Kinder an, lachen über Witze, sitzen neben dröhnenden
Musiklautsprechern, diskutieren lauthals über ihre Probleme und stören sich… an
nichts.
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Mein Hotel in guter Lage ist alt, schäbig,
heruntergewirtschaftet und schmutzig. Die Zimmerreinigung beschränkt sich auf
das Wechseln der Handtücher und des Bettzeugs. Der Boden bleibt wie er ist, die
Gardinen sind teilweise herunter gerissen, Glühbirnen fehlen. Aber die
Dekoration ist hübsch und die Angestellten sind so etwas von hinreissend
freundlich und hilfsbereit, dass es einem nur noch weh tut. Der junge
Rezeptionist hat vor der Revolution in Sharm El Sheikh gearbeitet und darbt nun
vor sich hin. Der junge Portier fragt mich direkt um Arbeit in Hurghada.
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Eines der schönsten Museen, das Römisch-Griechische Museum
ist seit Jahren geschlossen. Ich möchte das Schmuckmuseum besuchen – es zeigt den
Schmuck der letzten Königin – und ich stehe vor dem eleganten, gepflegten
Palast. Kein Sicherheitsbeamter, kein Hinweisschild, nichts. Ich suche im
Internet, ich frage an der Rezeption, ich bitte Freunde. Die Telefonnummern,
die wir auftreiben funktionieren nicht bzw. ein Fax meldet sich. Vermutlich ist
es geschlossen, heisst es. Die berühmte Bibliothek, wegen der ich einst extra
nach Alexandria kam, ist hässlich verbarrikadiert. Das Land braucht dringend
Geld – aber alles Schöne, Hübsche, Interessante und Attraktive ist unerreichbar,
geschlossen oder dem Verfall preis gegeben. Immer wieder höre ich als Antwort „seit
der Revolution“ und „Angst vor Anschlägen“.
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Auf der Suche nach etwas Schönem fürs Auge streife ich durch
ein besseres Quartier und treffe noch auf Paläste und Villen, teils verlottert,
teils gepflegt hinter hohen Mauern verborgen. Ein Hauch von dem einstigen
Alexandria liegt in der Luft, sogar der Strassenlärm wird von den Palmen und
Büschen verschluckt. Solche Inseln der Ruhe gibt es zum Glück noch an einigen
Orten, man muss sie nur kennen.
in Gleem |
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Die Menschen hocken täglich stundenlang im Stau, erleiden
Stromunterbrüche, kämpfen sich durch einen Alltag voller Sorgen und Schwierigkeiten…
aber sie lachen, machen Witze und sind fröhlich.
Die Meisten zumindest, versuchen das Gesicht zu wahren und
ihre Sorgen nicht preiszugeben. Ich sehe aber alte Männer, gehbehindert, halb
blind, in verlotterten Klamotten über Pflastersteine schlurfen. Ich sehe schlafende Strassenkinder und die Müllsammler, die alle Abfallsäcke aufreissen,
durchwühlen und ihren Inhalt verstreuen. Ich sehe schmutzige, zahnlose
Gestalten, die nicht mehr besitzen, als das Wenige, das sie am Leib tragen. Ich
kenne Menschen, die nicht mehr wissen, wie sie ihren Alltag bestreiten sollen,
geschweige denn, die täglich steigende Schuldenlast abzutragen. Die Armen sind
bereits elend arm. Die Mittelschicht kämpft, um nicht ins Elend abzurutschen –
den einen gelingt es, den anderen misslingt es.
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Alexandria, du Schöne, wie tief bist du gefallen!
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Selbstverständlich könnte alles anders aussehen, wenn da
nicht die Korruption wäre. Es gibt Angestellte, die hohe Gehälter vom Staat beziehen und
für Strassen, für Verkehr, für Energie, für Bildung, für das Gesundheitswesen
usw. zuständig sind – doch sie kümmern sich einen Dreck um ihre Aufgaben (für die
sie ihr Gehalt bekommen), widmen sich lieber ihren persönlichen Interessen.
Seit Januar 2011 ist alles noch schlimmer geworden. Noch mehr Korruption, noch
mehr Vernachlässigung der öffentlichen Aufgaben, noch mehr Unterdrückung durch
die Sicherheitskräfte.
Selbstverständlich könnte alles anders aussehen, wenn da
nicht wieder das alte Regime am Ruder wäre, sondern eine Regierung, die keine
unausgereiften Mammutprojekte wie einen zweiten Arm für den Suezkanal baut,
sondern Geld in die Verbesserung der Infrastruktur stecken würde.
Davon ist Ägypten heute jedoch weiter entfernt, als noch vor
dreieinhalb Jahren.
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