Es gibt da diese Momente, Stunden und Tage, an denen ich es
hier fast nicht aushalte. Ich werde schier wahnsinnig über Zustände, die ich in
solchen Momenten nicht einfach so hinnehmen kann. Ganz kluge Leute sagen dann „du
bist im falschen Land“. Sie haben Recht – aber nur in jenen Momenten, die zum
Glück ja nicht anhalten.
Eine solche Situation erduldete ich heute wieder. Am Ausgang
des Einkaufszentrums wartete ich mit meinem Grosseinkauf inklusive
Tiefkühlprodukten auf den Bus. Theoretisch sollte er alle 30 Minuten abfahren.
Das klappt in der Regel nicht. Eine Verspätung von 10-15 Minuten ist sehr
wahrscheinlich und damit kann ich leben. Oft aber kommt der Bus überhaupt nicht
(meist dann, wenn ich Eiscrème oder Frischmilch gekauft habe), z.B. weil der
Fahrer eine ungeplante Essenspause einbaut. Im Fahrplan ist nämlich nicht vorgesehen,
dass ein Mensch eine Pause braucht und essen möchte. Die Busse stehen einfach
da, fahren aber nicht, weil sie fahruntüchtig sind. Repariert werden sie
irgendwann, bis dahin gilt der Fahrplan halt nur lückenhaft. Das ist nicht nur Geduld
gefragt, sondern mit der Zeit tauen auch die Tiefkühlprodukte auf (was mache
ich mit einem Liter flüssiger Eiscrème?) und die Frischmilch wird sauer. Die
Lösung sind dann die Taxis, die an dieser Stelle Mafia-mässig betrieben werden –
ein anderes Übel.
Andere Situation: gestern bestieg ich einen dieser
verlotterten Minibusse, dessen Schiebetüre verklemmt ist und deshalb auch
während der Fahrt offen steht. Die Sitze sind zerfleddert. Alles egal: der
Tarif wurde trotzdem verdoppelt!
Solche und andere Geschichten mache ich täglich mit, meist
mehr oder weniger gelassen.
Doch weshalb mache ich das mit?
In meinem Heimatland könnte ich ein äusserst bequemes Leben
führen. Ich könnte eine schicke Wohnung mieten, ein tolles, zuverlässiges Auto
fahren und wie eine Modepuppe gekleidet herumlaufen. Ich mache es nicht.
Stattdessen nehme ich Unannehmlichkeiten in Kauf, die mich manchmal zum
Verzweifeln bringen. Nicht nur mich, übrigens.
Warum also doch?
Weil es noch eine, nein, viele andere Seiten gibt. Die
Begegnungen mit Menschen aus aller Welt. Die herzlichen, aufrichtigen
Freundschaften. Heute z.B. rief mich meine Arabisch-Lehrerin an und fragte, wie
es mir gehe. Sie hätte gestern den Eindruck gehabt, ich sei bedrückt – dabei haben
wir überhaupt nicht über so etwas geredet; es war einfach ihr Gefühl.
Dazu gehört der Einblick in andere Kulturen und
Verhaltensmuster. Daraus folgt das Reflektieren über sich selbst und die eigene
Kultur, die eigenen Werte. Es ist ein endloser Austausch von Erfahrungen,
Erlebnissen und Erkenntnissen, eine Endlosschlaufe von Fragen, Antworten und Verstehen,
die weitere Fragen aufwerfen, Antworten findet und in Verstehen mündet.
Die Komfortzone verlassen bedeutet nicht nur (hauptsächlich
materiellen) Verzicht, sondern auf anderer Ebene eine riesige Bereicherung. Es
bedeutet, seinen Horizont zu erweitern und dabei Bekanntes hinter sich zu
lassen. Ich bin nicht mehr derselbe Mensch, der ich war, als ich nach Ägypten kam.
Was ich hier gesehen und erlebt, erfahren und erlitten habe, hätte ich niemals
in meinem komfortablen Leben – trotz Aufgeschlossenheit, Literatur und Reisen –
erkennen können. Es sind wertvolle Erfahrungen, die ich nicht missen möchte und
deshalb mache ich weiter, auch wenn ich manchmal schier verzweifle.
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