Mittwoch, Januar 11, 2023

Von West nach Ost im Norden unterwegs durch ein Land, das eigentlich alles hat und doch nichts hat

Die Lebensader Ägyptens ist der Nil. Ohne Nil gäbe es dieses Land wohl kaum. Nördlich von Kairo teilt sich der Nil in zwei Arme und das Gebiet, das westlich und östlich davon bewässert wird, bevor sich die beiden Nilarme dem Mittelmeer ergeben, bildet das Delta. Aus der Vogelperspektive sieht es aus wie ein üppiger Blütenkelch über einem gewundenen Blumenstängel. Ich mag diese Vorstellung.



Mit diesem Bus hier bin ich im Herbst von Alexandria nach Damietta gefahren, und von dort wenige Tage später per Taxi nach Port Said und dann nach einem Kurzaufenthalt in dieser hübschen Stadt nach Kairo. Viele Fotos konnte ich während diesen Fahrten leider nicht machen. Doch ich habe sehr viele Eindrücke gespeichert. Davon möchte ich erzählen, besonders jetzt, wo sich die ägyptische Wirtschaft in einer gefährlichen Lage befindet.

Um aus Alexandria rauszukommen, muss man südwärts fahren. Nur wenige Kilometer ausserhalb der Stadt sind neue Stadtteile mit Wohnblöcken, Umfahrungsstrassen, Brücken und Industrie entstanden. Liegt die Stadt mal hinter einem, fährt man unzählige Kilometer an Landwirtschaftsflächen entlang. Kilometer um Kilometer stehen Dattelhaine mit (damals, im Herbst) prallvollen Früchten reif zur Ernte. Seen. Salinen. Lagunen. Fischzucht. Mangoplantagen. Bananenplantagen. Weiter südlich dann Reisfelder und Kartoffeläcker. Man könnte meinen: Ein Land, in dem Milch und Honig fliessen.


Blick auf Dattelhaine an der internationalen Küstenstrasse


Bananenplantagen zwischen Port Said und Kairo


Die Mittelmeerküste ist zudem mit Petroleumfirmen und Flüssiggasfabriken gesprenkelt, deren Zentralen hinter Stacheldrahtzäunen stehen und wo Ausländer arbeiten. Man könnte meinen: Ein Land im Überfluss.

Kurz vor Damietta passiert man dann eine leere Megacity mit dem Namen „New Mansoura“. Ein Beispiel für die vielen neuen Städte mit denselben Wohnsilos im Nirgendwo, die viel Kapital verschlungen haben, in die niemand ziehen mag, weil es dort keine Arbeit gibt.

Hier an der Mittelmeerküste befinden sich auch die wichtigen Seehäfen und Containerterminals mit Alexandria, Damietta und Port Said, weitere dann am Suez Kanal und am Roten Meer. Man könnte meinen: Hier gibt es mehr als genug Arbeitsplätze.

Dann besuchte ich Port Said und Port Fouad, sah Hunderte von Kranen, Containerdepots und erfuhr, dass die grossen Kreuzfahrtschiffe hier anhalten. Auf meine Frage, was die Besucher dort machen, erhielt ich keine klare Antwort.


Blick auf einen Teil des Westhafens in Port Said / Suez Canal


Der Suez Kanal ist einer der bedeutendsten Wasserverbindungen der Welt und erwirtschaftet 5,5 Milliarden EUR (je nach Quelle) jährlich. Man könnte meinen: Das Land schwimmt im Geld.

Was ich nicht erwähnt habe, weil es nicht im Delta liegt: die Goldminen im Süden, die Mineralien und Erze in der Wüste und in den Gebirgen der Östlichen Wüste und des Sinais, die Oliven- und Feigenhaine, die Tausenden von Kilometern von Stränden und Korallenriffen, die historischen Stätten der Pharaonen, Griechen, Römern u.a., der stete Wind, die zuverlässige Sonne… einen immensen Reichtum beherbergt dieses Land. Könnte man meinen. Nein, das ist Tatsache. Ägypten hat alles, um seiner Bevölkerung ein gutes Leben zu ermöglichen. Stattdessen verarmt die Mittelschicht und Millionen leben in bitterer Armut.

Wo ist all das Geld???????*

Die Inflation ist im Dezember auf knapp 25% geklettert, die Banken bieten Zinsen von 25% p.a. an und der Wert der ägyptischen Währung hat sich innerhalb eines Jahres halbiert. Seit einer Woche verliert das Pfund täglich weiter an Wert, am Schwarzmarkt werden Rekordpreise für Devisen geboten. Seit Monaten sind Importe in den Häfen blockiert, weil niemand mehr Devisen hat, um die bestellten Waren zu bezahlen. Die Preise für Lebensmittel, Mieten und Rohstoffe explodieren förmlich.


Quelle: Google, 11.1.2023 (der Einfachheit halber)


Ägypten nähert sich argentinischen Verhältnissen.


*eine rhetorische Frage

8 Kommentare:

  1. Wir haben zum Jahreswechsel 3 Wochen in Port Ghalib verbracht . Der Wechselkurs lag da schon bei 1: 26. Aber die Angebote der Reisefirmen und Anbieter von Ausflügen wurden dem Kurs nicht angepasst. Im Mai beim letzten Besuch lag er noch bei 1:18. Wo bleibt das Geld?

    AntwortenLöschen
  2. @el-qamar: was hat sich denn seit silvester so drastisch geändert, dass der äg. pfund so abschmiert?

    @falk - könnt Ihr nicht in ägp. pfund die ausflüge bezahlen?

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Nicht erst seit Silvester. Gründe sind u.a. massiver Devisenabzug der Investoren bei Ausbruch des Krieges UKR-RUS und Darlehen der Weltbank (verlangt Freigabe des Wechselkurses). Die wahren Ursachen liegen woanders und wenn ich die hier aufzähle, dann werde ich abgeholt.

      Löschen
    2. Touristen zahlen immer in Devisen und werden immer ausgenommen. Harte Währungen sind gefragt...

      Löschen
  3. beim österr. derstandard gibt es einen akt. artikel über Ihr wüstenland, sofern erreichbar.
    gruss
    gregory

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Also, MIR gehört das Land nicht ;)
      Bitte Link senden. Danke.

      Löschen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.