Freitag, Mai 11, 2012

Kitchner’s* Island Assuan – Botanischer Garten

Zehn Minuten per Motorboot und da liegt sie endlich vor mir: die „Pflanzeninsel“ - جزيرة النباتات باسوان  - die ich schon im Januar 2011 besuchen wollte.

Natürlich musste ich um den Fahrpreis feilschen. Natürlich hat mich der Bootsmann angelogen. Aber das ging rasch vergessen…

Uralte Bäume ragen in die Höhe, ihre Blätter und Palmwedel rascheln lieblich in der leichten Brise, spenden wohltuend Schatten, schützen vor der sengenden Sonne Afrikas. Dünne und dicke Baumstämme, glatte und knorrige, wie Säulen in den Himmel ragend oder quer treibend – alle sind fein säuberlich mit Lateinischem, Englischem und teilw. Arabischem Namen sowie ihrer Herkunft angeschrieben. Sie kommen aus Mexiko, Brasilien, Argentinien, Malaysia, Indonesien, Madagaskar, Indien, Australien und und und….

Einige protzen mit faszinierenden, knallbunten, üppigen Blüten, andere wiederum zeigen zierliche, feine, duftige Blütchen, deren Wunder dem Betrachter nur aus der Nähe erschlossen wird.

Ich lasse mich durch die sauber gepflegten Alleen treiben, lasse mich durch das Rauschen der Blätter und den Duft der Blüten bezirzen und wegtragen, geniesse das lange vermisste Grün und die farbige Pflanzenwelt. Bänkchen laden ein, auf den Nil und die gegenüber liegenden Ufer zu blicken, den Booten nachzusehen, zu verweilen, zu träumen…

Zuhinterst auf der Insel steht ein Gewächshaus. Ein Gärtner führt mich zu jungen Mimosen und Zitronengras, zu Papyrus und anderen Pflanzen und Kräutern, deren Namen ich nicht verstehe, nicht kenne, aber deren Duft ich tief einatme.

Die Insel ist Ort der Stille, Ort zum Auftanken. Im kleinen Museum beim Eingang sind zahlreiche Pflanzen, ihre Samen und Früchte samt Beschreibungen ausgestellt – Botaniker mögen darüber staunen.

Allzu schnell erfasst mich die Wirklichkeit wieder: das Feilschen mit dem Fährmann für die Überfahrt bringt mich in den ägyptischen Alltag zurück. Trotzdem: es hat gut getan.

Bilder zum Miterleben:





*Lord Horatio Kitchner (1850-1916) erhielt 1890 die Insel als Dank für seine Dienste für Ägypten während der britischen Kolonialzeit. Er war General-Gouverneur und regierte faktisch Ägypten. Als Pflanzenfreund hat er Pflanzen aus exotischen Ländern importiert und die Insel in einen Botanischen Garten verwandelt.

Freitag, Mai 04, 2012

Assuan im Frühling 2012

Ich sass auf einem Betonbänkchen und ass ein Hawauschi (eine Art Pfannkuchen, gefüllt mit gut gewürztem Hackfleisch). Ein Ladenbesitzer schimpfte einen Jungen, der etwas auf den Boden geworfen hatte. Er forderte den Jungen auf, den Abfall aufzuheben. Tatsächlich: alles war sauber. Kein Papier, keine Zigarettenkippen, keine Plastikflaschen.

Das war im Januar 2011 im Souk. Knapp drei Wochen vor dem Ausbruch der berühmten Revolution am 25. Januar 2011.

“Assuan, ia gamila, hassal eh?“ Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden?

16 Monate später sieht Assuan aus, wie jeder Ort in Ägypten. Ihr Attribut als sauberste Stadt Ägyptens hat sie verloren. Im Souk wurden Pflastersteine entfernt und nicht wieder ersetzt, Löcher nicht wieder zugemacht, Abfall liegt achtlos herum. Viele Geschäfte sind zu. Der fingerdicke Staub vom vortägigen Sturm lässt alles noch trostloser aussehen. Vorgestern demonstrierten die Bazaar-Inhaber und –Angestellte: die Reiseführer bringen die Touristen lieber in die grossen Souvenirgeschäfte Richtung Flughafen, weil sie dort mehr Kommission bekommen.

Die riesigen Kreuzfahrtschiffe liegen gespenstisch dunkel am Ufer vor Anker. Kutscher warten vergeblich auf Gäste. Eine Handvoll Feluken fährt über den Nil. Mein Hotel in einem prachtvollen Garten ist praktisch leer – 15 Gäste sind da. Kaum ein Tourist verirrt sich nach Assuan. Tristesse pur.

Dabei lockt die Landschaft noch immer grosszügig mit ihren Reizen, ist ihre Lage ein Juwel. Sehenswürdigkeiten werden nicht herdenweise belagert, sondern können in Ruhe und Stille bestaunt werden. Goldgelbe Hügel, blau schimmernder Nil und grüne Inseln bilden eine uralte Einheit, vermitteln Ruhe und Gelassenheit. Unablässig, zuverlässig, den Verlauf der Ereignisse ignorierend. Schicksalsergeben, wie sein Volk?

Assuan, du Schöne, was ist aus dir geworden? Ägypten, mit deiner tausendjährigen Geschichte, wie tief fällst du noch?






Donnerstag, Mai 03, 2012

Abtauchen – Eintauchen

Hurghada - Luxor
Ich fahre nach Assuan. In die Stadt, in die ich mich verliebte, die als die sauberste in Ägypten galt.
Vier Stunden im Bus bis Luxor. Sandsturm im Gebirge, in der Wüste. Sicht 200 m.
Erleichterung in Luxor.
Nur für einen Moment.
Schon im Buseingang drängen sich Taxifahrer „Taxi Madam?“. Einen Schritt weiter erdrücken mich fast Hitze und Sturm.
Kämpfe mich durch Taxifahrer zum Kofferraum, erbeute mein Gepäck und schiebe mich durch „Taxi Madam?“-Männer zum Bahnhof hin.
150 Meter nur. Wie Fliegen kleben sie an mir, wie von einem Magnet angezogen stürzen sie aus Hauseingängen, hüpfen wie Sprungfedern von Stühlen und Treppen hoch, zwischen Autos und Kutschen hervor. „Taxi Madam?“

In der Bahnhofshalle ist es kühl. „Where do you go?“-Rufe ignorierend gehe ich zielstrebig zur Gepäckaufbewahrung. Der Bahnsteig quillt über von Wartenden, dränge mich auch hier hindurch. Zwei Pfund fünfzig zahle ich, damit mein Koffer in einem siebzigjährigen Holzkästchen ruhen darf. Auf dem Weg zurück zum Ausgang höre ich noch mehrmals, wann der Zug nach Assuan fährt, bzw. fahren soll, verbunden mit der Hoffnung auf ein Bakschisch für diese ach so hilfreiche, ungebetene Auskunft. Auf dem Bahnhofplatz und beim Überqueren der Strasse bin ich erneut der Magnet für Zimmervermieter, Taxi- und Limousinenfahrer, Ausflugsanbieter und Kutscher. Wer nicht will, wird bestraft: „f* you!“ darf ich hören.





Donnerstag, April 26, 2012

Schlag auf Schlag: noch eine Ohrfeige

Um zu verhindern, dass Vertreter des alten Regimes zum nächsten Präsidenten Ägyptens erwählt werden könnten, hat das (islamistisch dominierte) Parlament ein Gesetz zum Ausschluss des aktiven Wahlrechts für jene Personen eingereicht. Dies wurde vom Obersten Militärrat rechtzeitig genehmigt und publiziert.

Ahmed Shafiq – Mubarak’s letzter Vize nach dessen Abtritt, langjähriger Minister und Ex-Luftwaffenchef - war aus dem Rennen.

Aufgeben galt für ihn nicht und er hat gestern Einspruch gegen diesen Erlass erhoben. Und siehe da: Der Oberste Gerichtshof hat den Einspruch heute gutgeheissen und somit darf Shafiq kandidieren! Begründet wurde der Entscheid des Obersten Gerichtshof nicht – es wird gemunkelt, es wollte weitere Einsprachen und damit eine Verzögerung der Wahlen verhindern.

Was für ein Witz!

Nachdem Omar Suleiman aus dem Rennen flog, hat das Militär wieder „seinen“ Mann. Jahrzehntelange Militärerfahrung, regimetreu und kein Islamist. Die Islamisten werden sich grün und blau ärgern. Sie schaffen es nicht mal, sich auf die Unterstützung eines einzigen gemeinsamen Präsidentschaftskandidaten zu einigen. Ihr eigener „Ersatz“-Kandidat Mohamed Mursi hat wenig Chancen. Und jener, der Sympathien der Islamisten, der Liberalen und der Regimetreuen auf sich vereinigen könnte – Abu El Fatuh, ex Muslimbruder – wird diese nun an Shafiq verlieren. Ähnlich wird es Amr Moussa ergehen.

Im Übrigen scheint aufgrund des heutigen Entscheids des Obersten Gerichtshofs die Verfassungsmässigkeit der Wahlen in Frage gestellt…

Ich bin gespannt, was (nicht ob!) sich die Islamisten jetzt noch einfallen lassen werden?

Samstag, April 21, 2012

Khamasin – Sandsturm

Vor einigen Tagen fegte ein fürchterlicher Sandsturm über Ägypten. Am Montag im Delta und über Cairo hinweg, am Mittwochabend erreichte er Hurghada. Ich musste spät abends aus dem Haus und wurde vom Sturm fast davon getragen. Meinen Kopf schützte ich mit einigen Büchern.

Der Khamasin („fünfzig“) fegt normalerweise im März oder April um die Zeit der Koptischen Ostern (was letztes Wochenende war) über Nordafrika und die Levante. Der Name „fünfzig“ kommt daher, dass dieser heisse Wind innerhalb von 50 Tagen ab Frühlingsanfang während drei bis vier Tagen tobt. Das hat heuer perfekt gepasst. Nach dem Khamasin regnet es an der Mittelmeerküste und im Delta und damit wird wieder alles „reingewaschen“. Hier im Süden natürlich nicht – der Staub bleibt da, wo er sich abgelegt hat. Ist der Sturm vorüber, kommt der Sommer.

Die Sichtweite betrug am Mittwoch und Donnerstag höchstens 200 m und draussen war es äusserst ungemütlich, ja sogar gefährlich. Der feine, rötliche Staub lässt auch das Atmen schwer werden und Asthmatiker leiden besonders. In Gebäude und Wohnungen dringt der Staub durch feinste Risse und bedeckt alles mit einer feinen Schicht. Man möchte abstauben und putzen – doch das ist völlig sinnlos: zehn Minuten später ist wieder alles verstaubt. Der Boden muss also rutschig bleiben, die Wäsche ungewaschen, Möbel und Einrichtungsgegenstände verzuckert J. Einfach warten…

Der Wind bläst heute immer noch in Sturmstärke, aber seit gestern Morgen ist der Himmel wieder hellblau, das tiefblaue Meer und die goldgelben Inseln draussen und die dunklen Berge in der Wüste zeichnen sich wieder deutlich vor dem Horizont ab.

Am Mittwochabend hatte ich Glück: ein Taxifahrer sah mich aus einer Seitenstrasse kommend gegen den Wind kämpfen und wartete auf der Hauptstrasse auf mich. Er kannte mich: er hatte mich eineinhalb Stunden vorher in der Seitenstrasse abgesetzt.

Donnerstag, April 12, 2012

Seuchen im Land der Pharaonen

Ägypten leidet unter allen möglichen Seuchen. Eine davon ist die Vogelgrippe, die auch dieses Jahr wieder Todesopfer gefordert hat. Vor ungefähr zwei Monaten ist die Maul- und Klauenseuche ausgebrochen und hat inzwischen über 13‘000 Stück Vieh (nach offiziellen Angaben) dahingerafft. Besonders schlimm trifft dies die ärmeren Bauern, die damit ihr Hab und Gut und ihre Einnahmequelle verlieren. Eine Entschädigung wurde versprochen – doch ob sie je die Betroffenen erreicht???

Wer gesehen hat, wie die (armen) Menschen hier leben, mag sich ausmalen können, welche Hygienezustände bei Gefieder und Vieh herrscht. Beschreibbar ist das nicht mehr. Mir graut schon, wenn ich an den Fleischhauern vorbeilaufen muss, bei denen das blutige Fleisch mitsamt dem Schwanz des Viehs herunterhängt… Als die Vogelgrippe vorletztes Jahr ihren Höchststand erreicht hatte, war es verboten, Lebendgeflügel zu verkaufen. Vor einem Jahr tauchten eben diese Verkaufsstände wieder da und dort auf und jetzt gehört das Bild wieder zum Alltag.

Sonntag, April 08, 2012

Noch eine Ohrfeige

Doch, ich bin noch da. Die Lebensmittelvergiftung im Februar hat mir ziemlich zugesetzt und meine Energie in Nichts aufgelöst. Die Ereignisse in Ägypten überschlagen sich zudem innert kürzester Zeit, dass ich fast nicht mehr mitkomme, klare Gedanken zu fassen.

Die neueste Ohrfeige an die Ägypter und ihre Revolution (dieser Ausdruck passt gar nicht mehr) ist, dass Mubaraks ehemaliger Vizepräsident und Geheimdienstchef Omar Suleiman ins Präsidentenrennen eingestiegen ist. Der Mann ist verantwortlich für grausamste Folter und deren tödliche Folgen, wird aber weder angeklagt, noch disqualifiziert. Warum? Weil er vom Armeerat getragen wird. Wer weiss, vielleicht sogar von den USA…

Neben dem Ex-Spitzelchef werden beinahe im Stundentakt Kandidaten aufgestellt und wegen  mysteriösen Umständen vom zuständigen Gericht disqualifiziert. Der Kandidat der Salafisten (den Ultrakonservativen – ein besonders „religiöser“) ist rausgeflogen, weil seine Mutter angeblich einen amerikanischen Pass besass (Präsident kann nur werden, der weder Eltern noch einen Partner mit ausländischer Staatsbürgerschaft hat). Dass der Typ gelogen hat, wollen seine Anhänger partout nicht wahrhaben, sondern wittern dahinter ein Komplott der USA. El Baradei, der im Westen Bekannteste, hat selber aufgegeben. Ayman Nour (ein Liberaler) wurde vor wenigen Tagen aus dem Gefängnis entlassen und vom Armeerat begnadigt, heute aber ebenfalls disqualifiziert mit der Begründung, er müsse seine Anklage noch anfechten. Die Muslimbrüder haben bereits vorgebeugt: nachdem sie während eines Jahres stets versichert hatten, sie würden keinen Präsidentschaftskandidaten aufstellen, kürten sie vor wenigen Tagen ihren (ebenfalls vom Armeerat aus dem Gefängnis entlassenen und begnadeten) Finanzchef. Blankes Entsetzen war die Reaktion quer durch alle Parteien und Volksschichten und Wut über die Erkenntnis, dass auch die Muslimbrüder lügen. Gestern doppelten sie nach: für den Fall, dass ihr Kandidat Khairat El-Shater ebenfalls disqualifiziert werden sollte, stellten sie grad noch einen zweiten Kandidaten auf. Dabei haben sie vor Monaten einen ihrer Führungsleute aus ihrer Organisation ausgeschlossen, eben weil er als Präsident kandidiert. Amr Moussa, dem ehemaligen Chef der Arabischen Liga wird unterstellt, seine Familie hätte familiäre Bande nach Israel… (sic!)

Alles klar? Nein?