Freitag, Januar 09, 2015

Kältewelle

Das Wetter spielt auch hier verrückt. In Ägypten erleben wir eine grausige Kältewelle. Am Roten Meer klettern die Höchsttemperaturen auf 17 oder 18°C, morgen Nacht werden grad noch 6°C erwartet. Seit Tagen stürmt es – es fühlt sich ungemütlich an.

In Alexandria hat es vorgestern geschneit, davor gab es Eisregen. In Kairo waren heute 11 Grad – drinnen wie draussen, schrieb ein Journalist.

Quelle: Alexandria Citizen

Quelle: Alexandria Citizen

Quelle: Alexandria Citizen

Es wäre halb so schlimm, wenn die Häuser isoliert wären, wenn es Heizung oder Öfen gäbe und keine Armut, die Menschen nicht im Freien oder in Bretterbuden und Rohbauten hausen müssten. Es gibt hier keine Obdachlosenheime und auch keine Suppenküchen.

Während ich mich mit warmer Kleidung, Decken, warmen Getränken und der Klimaanlage arrangiere, telefoniere ich mit einem Freund in Alexandria. Seine Stimme zittert, er friert. Die Temperaturen dort gehen nicht über 13 Grad, dazu regnet es immer wieder. Strassen sind überschwemmt. Die Häuser dort sind genauso nachlässig und dünnhäutig gebaut, wie überall in Ägypten. Mein Bekannter hat seit drei Tagen nicht geduscht, weil zu allem Pech noch der Wasserboiler kaputt ist und ihm die Zeit fehlt, einen Klempner zu rufen. Sein Vater ist schwer krank, er selbst kämpft mit einer Lungenentzündung.

Vorgestern war ich mit iQ-ontour in der Wüste. Es war eindrücklich und faszinierend, trotz Kälte. Wir kamen um halb neun Uhr abends zurück. Zwei Stunden später fuhr unser Guide, anstatt sich aufzuwärmen und zu schlafen, wieder in die Wüste zurück. Er holte während den folgenden 36 Stunden halb erfrorene Beduinen-Kinder heraus und brachte sie in Hurghada bei Hilfsorganisationen und Beduinen-Familien unter.

Was aber ist mit all den Strassenkindern? Was mit all den Müllsammlern, Autowäschern und Schuhputzern, die keine wetterfeste Bleibe haben; was ist mit dem fünfjährigen, barfüssigen Jungen, der Autoscheiben verschmiert, um ein paar Münzen Mitleid zu ergattern? Ihnen hilft niemand.

Die Kälte nimmt keine Rücksicht, weder auf Arme noch auf Vertriebene. Heute habe ich Bilder von den Flüchtlingscamps im Libanon gesehen… Die Syrer konnten zwar vor den Kämpfern des IS fliehen, stehen nun aber dem Kältetod gegenüber.

Quelle: Reuters
Quelle: AFP/Getty Images

Quelle: AFP / STR.

Der Winter hat erst angefangen.


Nach Charlie Hebdo

Die schreckliche Tat gegen Karikaturisten in Paris beschäftigt die Medienwelt und all jene, die für Freiheit in jedem Sinne stehen.

Aus Solidarität habe auch ich spontan  auf Facebook „Je suis Charlie“ (ich bin Charlie) gepostet. Doch wenn ich ehrlich bin, bin ich weit davon entfernt.

Jeder Journalist, Schriftsteller, Zeichner und Filmemacher muss sich ständig mit der Frage auseinandersetzen „Wie weit darf ich gehen?“. Zwischen dem, was gerne geäussert werden möchte oder sollte, und dem, wie die Veröffentlichung von extremistischen Randgruppen interpretiert wird, liegt inzwischen nur noch eine schier undurchsichtige Linie. Extremisten nehmen Publikationen als Vorwand, fühlen sich betupft und greifen zu Bomben und Maschinengewehren, um ihre Ansicht über ihre Religion zu verteidigen.

Zum gleichen Lager gehören all die Diktatoren und Armeen, die jegliche Kritik an ihrer Person, ihrem Führungsstil, am Regime, an ihren Verletzungen der Menschenrechte und ihren Unterlassungen unterdrücken. Diese Stimmen werden sofort zum Schweigen gebracht. Wobei ich nun bei Ägypten bin.

Seit El Sisi dem Regime vorsteht, wird freie Meinungsäusserung gezielt und offen bekämpft. Zeitungsartikel werden vor Druck geprüft und bei Missfallen von der Zensur gestoppt. Journalisten, die nicht Sprachrohr des Regimes sein wollen, werden verfolgt und ins Gefängnis gesteckt oder sonst wie „unschädlich“ gemacht.

Wohin führt es, wenn niemand mehr seine Meinung ausdrücken darf? Wenn die Medien gleichgeschaltet sind, wenn Kritik zum Schweigen gebracht wird, wenn Schreiberlinge und Filmemacher nur noch beschönigen und verherrlichen?

Was sind das für Religionen, Herrscher und Diktatoren, die Angst vor Worten und Bildern haben? Haben sie das Recht, das selbständige Denken und die freie Meinungsäusserung einzuschränken und Menschen zu Schafen verkommen zu lassen?

Die Antwort kann jeder für sich selbst finden; man sehe sich nur in der Welt um, die Folgen sind bekannt.

Seit El Sisi an der Macht ist, habe auch ich mit meinem kleinen, unbedeutenden Blog Zurückhaltung geübt, weil ich aus meinem engsten Umfeld gewarnt worden bin. Es fällt mir schwer, mich zurück zu halten. Ich habe versucht, mich momentan nicht über die hiesige Politik zu äussern. Ich bin nicht Charlie, ich habe nicht die Courage dazu. Meine Unversehrtheit ist mir wichtig. Ist das Egoismus? Ist es Vernunft? Wenn ich etwas schreibe, wird es keinen Einfluss auf das Weltgeschehen haben - aber es kann einen Einfluss auf mein Leben haben.

Genau das ist es, was religiöse Fanatiker, Herrscher und Diktatoren wollen. Wer hat den Mut, die Unvernunft, die Unverfrorenheit oder einfach den Gerechtigkeitssinn, DAGEGEN anzustehen? Charlie Hebdos Karikaturisten hatten sie.


Donnerstag, Januar 01, 2015

Glückliches neues Jahr

Ich wünsche allen hier und dort draussen ein

Glückliches 2015

möge es uns das bringen, was wir dringend brauchen, und auch das, was wir uns so sehnlichst wünschen.

Samstag, Dezember 27, 2014

Weihnachten bei Muslimen

Auch Muslime feiern Weihnachten, so unglaublich sich das anhören mag. Es war und ist in Ägypten Tradition – vor allem in gebildeten Schichten – alle Feste über Religionen hinweg gemeinsam zu feiern. Christen feiern das Ende des Ramadans, nehmen am Fastenbrechen teil, und Muslime ihrerseits feiern Weihnachten.

Am 25. Dezember war ich zu (muslimischen) Freunden zum Weihnachtsessen eingeladen. Ein hübsch dekorierter Christbaum leuchtete im Wohnzimmer; darunter lagen Geschenke für die Freunde. Zwei Tische waren festlich gedeckt und auf der Küchentheke präsentierten die Gastgeber das Ergebnis mehrstündigen Kochens: ein Festmenü mit Truthahn, Koschari (ein Gericht aus Reis, Nudeln, Linsen und Kichererbsen – darüber werden Tomatensauce und geröstete Zwiebeln gegeben), Bami (ein orientalisches Gemüse), Mahschi (bitte das „H“ stark aussprechen; mit Reis gefülltes Gemüse), Reis mit Nüssen und Leber, Fleischkuchen, Yoghurt-Sauce, Sambusa (Teigtaschen mit Käse gefüllt) und weitere ägyptische Köstlichkeiten. Ein wahres Festmenü!



Die Gastgeberin strahlte vor Glück und Freude, denn Weihnachten bedeutet für sie Wiedergeburt und Neuanfang, und damit Vertrauen und Hoffnung auf bessere Zeiten. Gar nicht so viel anders, wie es die gläubigen Christen sehen. Einzig Alkohol fehlte – aber auch das kann vorkommen.

Und gleich nebenan hat der Nachbar für zwei Tage seine Villa vermietet. Schwarz verschleierte Frauen – mein Gastgeber vermutete Salafisten – und ihre Ehemänner und Familien feierten eine Hochzeit. Riesige Lautsprecher versorgten das Quartier mit dröhnender Popmusik - nonstop. Salafisten und Musik – das sollte eigentlich auch nicht sein, aber es war so. Ägypten eben.



Mittwoch, Dezember 17, 2014

So ein Zirkus

Heute war also der grosse Tag: der ägyptische Präsident El Sisi ist nach Hurghada (geflogen) gekommen und hat den neuen Flughafen eröffnet.

Schon gestern ist der Innenminister angekommen (das ist der, der für die Polizeigewalt und Folter zuständig ist). Drei Helicopter hat das gebraucht.

Heute nun schwebten stundenlang Helicopter über der Stadt. Sämtliche Hauptstrassen waren abgeriegelt, für den normalen Verkehr war kein Durchkommen mehr. Touristenbusse, Angestellte, Privatfahrzeuge und Minibusse mussten im Stau warten, bis der Herr Präsident mit Ministern, Gouverneur, Vertretern der Armee und wer weiss noch alles, durchfuhr. Die Müllwagen der HEPCA sowie die Wassertankwagen aus dem Vorletzten Jahrhundert wurden kurzerhand von den Strassen verbannt.

Auch der Flugverkehr wurde „aus Sicherheitsgründen“ für eine halbe Stunde angehalten. Gefreut hat es sicher die Touristen. Ferner wurden Ausflüge ab der Marina und ab verschiedenen Hotels abgesagt. Ob sich die Anbieter von Ausflügen darüber auch gefreut haben?

Was hat El Sisi gesehen? Taufrisch geteerte und markierte Strassen, Absperrungen, alle fünf Meter eine ägyptische Flagge sowie Absperrwände, die mit Fahnen und seinem Bild dekoriert sind. Dahinter dösen Abfall, Schutt, halbfertige oder verfallene Gebäude vor sich hin. Im Hotel Steigenberger Al Dau war er auch – deshalb wurden die paar Hundert Meter Strasse dorthin auch aufpoliert.

Mir haben am besten die bissigen und sarkastischen Kommentare auf Facebook gefallen. Dabei ist es nicht wirklich lustig, wenn man daran denkt, was man mit den mehreren Millionen Euro für diese paar Stunden Besseres hätte anstellen können.


Sonntag, Dezember 07, 2014

Hurghada putzt sich raus

Während der vergangenen Jahre ist Hurghada recht verlottert: Strassen wurden aufgerissen und wenn, dann nur notdürftig wieder instand gestellt. Pflastersteine wurden wer weiss wofür verwendet, Randsteine abgebrochen, geknickte Strassenpfosten liegen gelassen. Das Resultat waren Stossdämpfer und Reifen beanspruchende Gräben und Löcher, in denen manchmal ganze Autos verschwanden. Zu dem Anblick gesellen sich weggeworfene Plastikflaschen und -säcke, Glasscherben, Bauschutt, Hotelabfall, überfahrene wilde Hunde und verendete Esel.

Noch schlimmer wurde es, seit Wasserrohre verlegt werden. Quer durch die Stadt und in die Aussenbezirke wurden die Rohre entlang der Strassen und Gehsteige abgelegt und gelagert. Irgendwann wurden Gräben ausgehoben, einige Rohre verlegt und die Gräben notdürftig mit Sand zugeschüttet. Der Verkehr quält sich durch das Labyrinth von Bodenwellen, Gräben, nicht gesicherten Schächten und Löchern und sucht sich in allen Fahrtrichtungen den Weg – in Einbahnstrassen, durch Quartierstrassen oder im Zickzack.

Seit einigen Wochen jedoch sieht man schwere Baumaschinen, die Gräben zuschütten und Strassen asphaltieren. Junge haben die Pfosten der Strassenlampen gestrichen – zuerst jene an der Fussgängerpromenade silbrig, dann jene in der Flughafenstrasse grün. Neulich sah ich sogar, dass die Lampen geputzt wurden – ich dachte schon an eine Fatamorgana! Randsteine sind frisch gesetzt und leuchtend gelb/schwarz bemalt worden. Das allerschönste habe ich aber heute Morgen entdeckt: die Flughafenstrasse ziert ein gelber Randstreifen und wunderschöne, dicke, weisse Mittelstriche, welche die Fahrbahnen trennen!

Wer nun meint, all diese Putzerei sei für die Touristen, um ihnen den erbärmlichen Anblick zu ersparen, der täuscht sich. Präsident Abd El Fattah El Sisi wird erwartet, um den neuen Flughafen zu eröffnen. Gerüchte darüber zirkulieren schon seit Oktober herum, angeblich soll es kommende Woche so weit sein.

Schade ist nur, dass nur ein kleiner Teil der Stadt herausgeputzt wird – der grosse Rest bleibt leider, wie er ist: verlottert.