Dienstag, Februar 08, 2011

Tag 15 der Proteste


Es geht und geht einfach nicht vorwärts. Oder einfach nur zu langsam. Obwohl Mubarak weitere Konzessionen macht, einige politische Gefangene frei wurden und die einheimischen Medien ganz langsam auch etwas Wahrheit verbreiten, erzählt Vizepräsident Suleiman in den einheimischen Medien weiterhin Märchen und Lügen. Wie sollen die Ägypter vertrauen? Berichte von unabhängigen Medien und Bloggern lassen aber erahnen, dass es weiter brodelt. Ständig stossen neue Protester hinzu, sei  es in Kairo auf den Tahrir-Platz, sei es, dass ganze Belegschaften streiken, sei es, dass Journalisten der Staatsmedien protestieren usw. Täglich gibt es neue Berichte dazu. Es kocht weiter – zu langsam, wenn man nur zusieht. Aber es braucht die Zeit, die nötig ist…

Gleichzeitig zeugen immer mehr Foto- und Videoaufnahmen, wer hinter den Gräueltaten während den Protesten in der vergangenen Woche steckt. Schreckliche Beweise dieser alles unterdrückenden Diktatur.

Gegen Mittag kommt mein Wohnungsvermieter und bringt mir ein paar Sachen für die Wohnung. Er hat nun Ferien. Sein Arbeitgeber – ein Tour Operator – hat für zwei Wochen den Betrieb geschlossen. Nun hat er Zeit, sich um seine Wohnungen und deren Mieter zu kümmern.

Am Samstag wird eine weitere Schülerin wieder zurückkehren. Angeblich soll die Deutsche Schule (die einzige Schule, die den Unterricht eingestellt hat) am Samstag nach zwei Wochen wieder öffnen. Das scheint vernünftig. Die Eltern der Schüler werden enorm erleichtert sein.

Momentan wurmt es mich besonders, dass meine Arabischkenntnisse noch immer nicht dazu reichen, um Zeitungen bzw. online News zu lesen, d.h. lesen geht, nicht aber verstehen. Die Ägypter sind bekannt für ihren Humor und es zirkulieren zahlreiche Witze über Mubarak, Suleiman und das Regime. Ich bereue es wirklich. Andere Ägypter schreiben Lieder für die Protester. Ich würde gerne Anteil daran nehmen. Während ich dies schreibe, wollte ich auf der Satirik-Seite „Elkoshary“ http://www.elkoshary.com/ nachsehen, ob dort ein neuer Artikel über die Ereignisse publiziert worden ist; doch: die Seite ist „wegen technischen Problemen“ nicht verfügbar! Schöne Grüsse des Zensus.

Montag, Februar 07, 2011

Leere in Hurghada


Eine Freundin bat mich, heute mit an den Strand zu kommen. Es ist ein schöner, warmer, fast windstiller und wolkenloser Tag. Ich warte auf den Minibus… warte… warte. Kaum Verkehr. Die Strassen Hurghadas sind ruhig und verkehrsarm geworden.

Nicht viel anders sieht es am Strand aus: Bis Mittag ist unser Lieblingsstrand vielleicht zu 30% belegt. Die Preise – welch ein Fehler – sind jedoch die gleichen wie immer. Etwas frech zeige ich am Eingang meine Wasserflasche, die ich zu normalen Zeiten nicht mit hinein nehmen dürfte. An anderen Orten gibt es inzwischen Rabatte, um die noch verbliebenen Touristen und Einwohner anzuziehen. Übrigens habe ich es nach langem Zögern und Probieren geschafft, immerhin zehn Minuten zu schwimmen. Die Wassertemperatur erinnert mich an einen Gebirgsbach im Hochsommer - so sehr habe ich mich an hiesige Verhältnisse gewöhnt ;-).

Im Fernsehen werden die Nachrichten über Ägypten immer kürzer. Die Situation ist festgefahren, es geht weder vorwärts noch rückwärts. Das ist zermürbend. Am Strand sprach ich kurz mit einem Angestellten: er wünscht sich wieder mehr Gäste und deshalb soll Mubarak bleiben. Er habe ja versprochen, dass… bla bla bla. Sinnlos zu diskutieren.

Meine Nachbarin berichtet mir, dass ihr Hotel derzeit dreissig Gäste beherbergt – ein Hotel, das auf über tausend Gäste ausgerichtet ist!

Nach einer Unterrichtsstunde in Hurghada habe ich ein paar Dinge zu erledigen. Kaum Touristen, kaum Verkehr, viel Staub. Seit Wochen werden in ganz Hurghada Gräben ausgehoben: endlich wird eine Abwasserkanalisation installiert. In der Hauptstrasse, in jeder Nebenstrasse, überall zur gleichen Zeit. Seit Weihnachten herrscht ein einziges (Verkehrs-)Chaos. Sand und Staub sind allgegenwärtig. Heute dachte ich, dass zumindest diese Arbeiten in Ruhe fertiggestellt werden können, wenn es überall so leer ist. Am Abend frischt der Wind auf und fegt immense Staubwolken durch die Stadt. Jedes Kaffee, jedes Geschäft ist staubbedeckt – und leer. Bald ist Hurghada eine Geisterstadt.

Die Banken haben weiterhin geöffnet und offenbar sind Löhne bezahlt worden. Ich sehe lange Schlangen von (einfachen) Ägyptern vor den Bankomaten. Es berührte mich tief, denn sie sind diejenigen, die wieder die Zeche bezahlen müssen. Ich befürchte auch, dass der Druck von ihnen so gross wird, dass die Aktivisten und Demonstranten grosse Konzessionen machen müssen und der Übergang zu einer wahren Demokratie langwierig sein wird. Das wäre aus meiner Sicht das schlimmste Szenario für die Wirtschaft Ägyptens und als Signal für die ganze Region.

Wir können nur warten – meint ein anderer Nachbar. Er hat 50% seiner Tennisschüler verloren. Doch in Europa sind die Lebenskosten viel höher und dort ist es kalt, also bleibt er und wartet ab. Ich auch, vorerst.

Sonntag, Februar 06, 2011

Ein Stück Alltag

Gestern ist einer meiner Schüler wieder erschienen und heute Morgen ein weiterer. Ersterer hätte am Nachmittag wieder kommen sollen, ist aber wegen einer Krisensitzung mit Hurghadas Gouverneur und Vertretern des Tourismusministeriums nicht gekommen. Nein, ich glaube kaum, dass ich etwas über diese Sitzung erfahre.

Als ich mit dem Rennrad am Bankviertel vorbei fuhr, sah ich eine grosse Menschenmenge vor einzelnen Banken stehen. Die Banken hatten heute erstmals für ein paar Stunden geöffnet. Vor der CIB standen sicher über sechzig Leute!

Ein Stück Alltag am 13. Tag des Aufstandes, während das Regime die Welt vorführt, allen voran die amerikanische Regierung. Das Machtvakuum ist widerlich und macht mir gleichzeitig Angst. Amerika hat Ägypten über Jahrzehnte hin mit Milliarden von Dollars gefüttert und gestützt – und findet nun kein Mittel, um den ungeliebten Diktator loszuwerden. Es wäre lächerlich, wenn es nicht gleichzeitig auch so tragisch wäre und nicht so einschneidende Konsequenzen hätte.

Je länger es dauert, umso schlimmer wird alles. Das Regime hungert nun die Demonstranten aus – wer weiss, ob sie durchhalten und das Spiel durchschauen. Journalisten sind bedroht, eingesperrt und werden behindert. Das ägyptische Fernsehen erzählt währenddessen allerlei Märchen – welche viele einfache Menschen, die keinen Zugang zu Internet oder Twitter haben – glauben (müssen). „Divide et Impera“: ob es das Regime schafft, die vereinten Protester und somit das Land zu entzweien und in einen Bürgerkrieg zu stürzen? Alles scheint momentan möglich. Grauenhaft.

Immer mehr Bekannte und Freunde teilen mir mit, dass sie keine Arbeit mehr haben. Hinter jedem Einzelnen verbergen sich Schicksale.

Inzwischen tauchen immer mehr Videos im Internet auf, die zeigen, wie Demonstranten kaltblütig aus dem Hinterhalt erschossen werden. Es tauchen Videos auf, in denen geflohene Gefängnisinsassen erzählen, wie sie frei gelassen, bewaffnet und aufgefordert wurden, zu plündern und gegen die friedlich Demonstrierenden vorzugehen.

Momentan scheint kein Kraut gegen den Diktator gewachsen, noch spielt er alle Trümpfe seiner über Jahrzehnte aufgebauten Machtstruktur aus. Wann ist endlich Schluss?

Freitag, Februar 04, 2011

"Tag der Abreise" ohne Abreise

Wir warten. In Hurghada geht es uns gut. Aber wir warten. Manchmal ist es unerträglich, denn nichts scheint sich zu bewegen. Heute ist zudem die Luftfeuchtigkeit so hoch, dass die Wäsche nicht mehr trocknet. Warten. Eine Revolution wird nicht in einem Tag durchgeführt.

Einer meiner „letzten“ Schüler rief mich an um mitzuteilen, dass er morgen nicht komme, denn sie würden ihr Geschäft schliessen. Es ist das grösste Lederwarengeschäft weit und breit und hat Bus weise Russinnen und Russen mit Lederjacken, -mänteln und –taschen beglückt. Er melde sich wieder. Sein Vater möchte auch kommen. Ich nenne ihn nur den „1‘000 $-Papa“, weil er mir dies als Belohnung versprochen hat, wenn er bei mir Englisch reden lernt! Nicht schreiben und lesen – nur reden! Zum Glück weiss ich inzwischen, wie ich mit solchen Äusserungen umgehen soll: bisher ist der 1‘000 $-Papa erst zu einer einzigen Unterrichtsstunde gekommen.

Hoffentlich halten sie durch! Wieder sind heute Millionen Ägypter auf Strassen und Plätzen gewesen und haben demonstriert. Kämpfe – ja, Kämpfe! – gab es wohl nur vereinzelt und das Militär schützt die Demonstranten etwas besser.

Und wieder hat sich Mubarak nicht durchringen können. Auch wenn hinter den Kulissen Druck gemacht wird.

Ich habe auch nichts gemacht. Diskutiert, ferngesehen, mein Knie behandeln lassen. In Dahaar habe ich noch Früchte, Tomaten und frische Kräuter geholt. Frische Minze für Tee, Rucola für die Tomaten. Der Markt war nicht sehr voll – wie immer am Freitag. An der grossen Kreuzung standen drei Panzerwagen und Soldaten.

Vorhin kam noch der Wohnungsbesitzer vorbei. Er meint, es würde so rasch aufhören, wie es angefangen habe. Was: die Demonstrationen oder Mubarak? Beides meint er. Soll er Recht haben und zwar schnell! Ägypten könnte nun eine Vorreiterrolle im Nahen Osten übernehmen und zeigen, wie man eine Diktatur in ein demokratisches arabisches Land führt. Wenn es aber noch lange in diesem Machtvakuum verbleibt, sind andere Kräfte vielleicht plötzlich schnell da, um dieses mit unerwünschten Elementen zu füllen. Die Zeit drängt…

Angeblich öffnen die Banken am Sonntag wieder; das wäre ein Schritt in Richtung Normalisierung. Internetbanking funktioniert, so kann ich endlich meine Miete bezahlen.

Wenn ich im Bus oder im Zentrum unterwegs bin, stelle ich mir dauernd vor, wie die Ägypter jubeln werden… es wird ein unglaublicher Aufschrei sein und gefeiert werden bis zum Umfallen… Noch ist es aber nicht so weit.

Donnerstag, Februar 03, 2011

Widersprüchliche Informationen

Gestern Nacht rief mich noch eine ägyptische Bekannte an, nervlich am Limit und verängstigt, es gäbe sicher bald kein Brot mehr, kein Benzin, kein Wasser usw. Ihr Ehemann hätte vorgestern dieses und jenes nicht mehr im Geschäft gefunden.

Ich kann mir das nicht vorstellen, obwohl ich weiss, dass abseits von Kairo auch andere Städte nicht mehr gänzlich mit Lebensmitteln versorgt werden. Etwas besorgt ging ich schlafen.

Heute Morgen nun die Nachricht, dass es vergangene Nacht mehrere Tote gegeben hat. Es ist erschütternd, was in Kairo geschieht. Ich empfinde wahre Bewunderung für die Aktivisten und Demonstranten, die weiterhin ausharren und nicht aufgeben, ungeachtet der Gewalt und des Terrors, der wechselnden Strategie des Regimes und physischen Entbehrungen. Widersprüchliche Informationen kommen von Seiten der Regierung: Entschuldigungen für die Gewalt, Untersuchungen zu den Gewalteinsätzen. Und weiter: dem ehemaligen (und von den Ägyptern verhassten) Innenminister und weiteren, dem Regime nahe stehenden Personen, wurde untersagt, das Land zu verlassen.

Sicherheitshalber mache ich mich nochmals auf den Weg, um Wasser und Brot und anderes einzukaufen: ich finde alles, ausser Jogurt – das auch zu nicht-Revolutions-Zeiten manchmal unauffindbar ist. Auch die Tankstellen sind bedient. Etwas lächerlich komme ich mir fast vor: ich kann mir alles beschaffen, beobachte das Geschehen vom Sofa aus – ok, ich habe keine Arbeit – während andere ihr Leben riskieren oder nicht mehr wissen, wie und wo Lebensmittel zu beschaffen sind.

Eine weitere Mutter einer meiner Schülerinnen teilt mir mit, dass sie und ihre Tochter vorübergehend nach Hause fliegen. Und eine mir lieb gewordene Russin verlässt das Land für immer.

Doch es gibt auch gute Nachrichten: die Bankomaten funktionieren und ich fahre noch ins Zentrum Hurghadas, um mich mit Bargeld einzudecken. So kann ich wenigstens mal einen Teil meiner Miete bezahlen. Bisher hat sich der Wohnungsbesitzer nicht gemeldet, er hat seit Tagen rund um die Uhr gearbeitet und heute meldete er mir, dass alle seine Touristen ausgeflogen seien. Er ist Manager eines grossen Tour Operators. Er ist zuversichtlich, dass die Geschäftstätigkeit rasch wieder zurückkehren wird. Hoffen wir’s.

Alles scheint von morgen dem „Tag der Abreise“ abzuhängen. Soeben heisst es, dass Mubarak „genug“ habe von seinem Präsidentendasein. Sieht so aus, dass das Ende naht.



Mittwoch, Februar 02, 2011

Blankes Entsetzen

Ich bin den ganzen Tag nicht aus dem Haus gegangen, habe versucht, Dinge für mich zu erledigen, die Zeit in Ruhe zu nützen. Bevor ich eine Korrekturarbeit anfangen wollte, bekomme ich in Al Jazeera mit, dass der Internetzugang wieder hergestellt ist.

Darüber freue ich mich, es ist eine grosse Erleichterung.

Doch gleichzeitig eskaliert die Situation in Kairo. Bewaffnete Schlägertruppen in grosser Zahl knüppeln die friedlich protestierenden Demonstranten nieder. Auf Kamelen und Pferden sind sie plötzlich zur Stelle! Offenbar hat der Sicherheitsapparat diese Tätigkeit erneut übernommen, unter dem Deckmantel von „Pro-Mubarak-Demonstranten“, denn Anti-Mubarak-Demonstranten berichten, dass die Schläger Polizei-Identitätsausweise auf sich tragen. Mubarak scheint sich noch einmal mit aller Gewalt aufzubäumen.

An Arbeiten ist nicht zu denken, ich kann mich nicht konzentrieren. Immerhin kann ich meine Emails beantworten und so all meinen Freunden, die sich besorgt gezeigt haben, beruhigen. Nun erfahre ich von weiteren Reaktionen weltweit und was sonst noch geschieht.

Was jetzt geschieht ist schlichtweg ein Verbrechen – wie das ganze Regime. Es dauert nun schon Stunden und erste Reaktionen der UN werden veröffentlicht. Wie viele Stunden mehr soll es noch andauern? Die Armee greift nicht ein, bleibt weiterhin neutral und die Demonstranten fliehen oder wehren sich mit den primitiven Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen.

Am frühen Nachmittag hat sich eine weitere ägyptische Freundin gemeldet – einfach um nachzufragen, wie es mir geht. Doch sonst bleibt mein Telefon heute stumm. Zwei andere Freundinnen haben meinen Anruf gar nicht angenommen.

Heute muss der letzte Tag sein! Eine weitere Steigerung ist nicht mehr möglich. Gestern waren es über eine Million friedlicher Demonstranten und heute wurde seitens der Regierung erneut mit brutaler Gewalt drein geschlagen. Wann greift hier endlich jemand ein und beendet dieses Regime? Wo ist die schöne-Worte-verbreitende Opposition? Warum kann die Armee nicht mehr bewirken?

Hier noch Hintergrundinformationen vom Geschehen direkt aus Kairo: http://egyptianchronicles.blogspot.com/. Offenbar waren die Schläger von Mubarak nahestehenden Geschäftsleuten bezahlt worden! Für ein paar lausige Pfund verraten die Armen Kerle ihre Landsleute und Bonzen versuchen zu retten, was bereits verloren ist. Gleiches berichten auch die französischen Nachrichten.

Gegen Abend beruhigt sich die Lage in Kairo etwas, doch jetzt haben die Menschen Angst. Trotzdem werden sie nicht aufgeben.

Ein pensionierter Diplomat aus Amerika teilt mir per Email mit, dass heute ein befreundeter ehemaliger US-Ambassador die Nachricht von Präsident Obama mitteilt, dass es Zeit sei zu gehen. Ob’s was nützt? Wir werden es sehen.