Montag, Dezember 07, 2015

In den Mühlen der Bürokratie (II)

Das Visum ist Voraussetzung, um z.B. ein Fahrzeug auf seinen eigenen Namen zuzulassen. Und auch, um die Zulassung zu verlängern. Ersteres hab ich ja erfolgreich und mit unerwartetem Vitamin B geschafft. Das andere beschreibe ich nun hier.

Beim Verkehrsamt
Kopien meines Passes und des neuen Visums habe ich gemacht. Eine grosse Portion Gelassenheit und Geduld habe ich mir schon in den letzten Tagen zugelegt, wohlwissend, dass alles andere nur Unheil bringt. Perfekt vorbereitet also, fahre ich um neun Uhr früh zum Verkehrsamt, wo sich bereits zahlreiche Mitleidende befinden.

Ich habe keine Ahnung, wohin ich zuerst soll. Also frag ich mal im kleinen Büro neben der grossen Halle. Da sitzen ein paar Polizisten mit Funksprechern drin und besprechen etwas. Ich frage, wo ich meinen Fahrzeugausweis erneuern muss. Sie weisen mich (leider) in die grosse Halle. Dort drin drängen sich schon viele andere, genau wie letztes Jahr, genau wie jeden Tag. Ich steure auf den Schalter in der Ecke mit der Aufschrift „Foreigners“ zu. Doch da stehen nur Ägypter, nur Männer. Aber doch, ich bin richtig. Dieser eine Schalter dient zwei verschiedenen Gesuchen, deshalb stehen davor nicht nur Ausländer und dahinter nicht nur ein Beamter, sondern zwei. Drum auch ist es immer eng da.


Derjenige der steht, ein Schnauzbärtiger, der etwas Englisch spricht und sich um uns Ausländer kümmert, verlangt meinen Pass. Er blättert ihn durch und sagt mir, dass ich ein Mäppchen kaufen müsse. Wo? Drüben. Er schreibt mir das arabische Wort „malaf“ auf einen Zettel. Aber ich hab doch letztes Jahr schon so ein Mäppchen gekauft! Erinnerungen… er meint, ich brauche trotzdem wieder eines. Na gut.

Mit dem Zettelchen in der Hand spaziere ich ums Gebäude, durch die Maueröffnung durch und hinüber zu den kleinen Kabäuschen. Natürlich erinnere ich mich jetzt wieder. Auch an den flirtenden Typen im „Postbüro“. Also, ich kauf mir ein Mäppchen für 10 Pfund. Damit will ich zurück in die Halle, als mich irgendjemand laut mit „Hello“ zurückruft. Ich müsse noch Marken dazu kaufen. 5 Pfund, im Kabäuschen daneben, wo es nur Marken zu kaufen gibt. Mit beidem ausgestattet darf ich zum Flirter, der mich sofort wieder erkennt. Wenigstens muss ich nicht lang warten, es hat nicht so viele Leute und er macht relativ zügig vorwärts: er füllt meinen Antrag aus, klebt irgendwo weitere Marken drauf, 5 Pfund nochmals, und setzt ein paar Stempel drüber. Für den Antrag zahl ich nochmals 7 Pfund oder so etwas – ich hab den Überblick schon fast wieder verloren, das Kleingeld behält er grad ein. Ausserdem schickt er mich nochmals zu dem Kabäuschen, wo ich das Mäppchen gekauft hab: ich brauche dort ein Papier fürs Gericht wegen den möglichen Verkehrsbussen. Auch das hol ich. Und nach dem Gericht soll ich grad auch die Fahrzeug-Steuer bezahlen, empfiehlt mir der Flirter freundlicherweise.

Mit dem inzwischen imposant gewordenen Mäppchen oder Dossier spaziere ich wieder zur Halle. Der Blick des Schnauzbärtigen, der die Ausländer bearbeitet, erhascht mich und er grinst. Ich darf ihm mein Dossier reichen. Er prüft es, schreibt irgendwo etwas drauf und schickt mich zum Gericht im anderen Stadtteil. Dort war ich noch nie, ich meine das Gericht.

Beim Gericht
Wie bei allen öffentlichen Gebäuden, ist es verboten, auf den davor und darum herum liegenden Parkplätzen zu parken. Aus Sicherheitsgründen. Also parken die Besucher irgendwo, wo es grad möglich ist: am Strassenrand, in Seitenstrassen, vor Geschäften, auf dem Gehsteig und überall dort, wo es einfach stört und wo es verboten sein sollte. Ich mach das auch und spaziere zurück, vorbei an der Polizei, die wie immer mit Handys, Funk und Tee beschäftigt ist, zum Eingang bzw. zu einem engen Durchgang durch den Zaun, um zum Gerichtsgebäude zu gelangen.

Erster Stock links, hallt es in meinem Kopf, als ich das bedrohliche Gebäude betrete. Eigentlich würde mich der Schlag treffen – hätte ich inzwischen nicht schon mehrere solche öffentlichen Gebäude von innen gesehen. Aber hej, das hier ist das Gericht! Drinnen ist es finster und schmutzig. Überall sind Leute, die warten und schwatzen. Auskunft oder so etwas gibt es nicht. Ich steig eine Treppe empor und versuch mich links zu halten. Das ist eigentlich sinnlos, denn der Korridor geht rund um die Büros herum, seitlich gehen Treppen ab, die aber verbarrikadiert sind. Also hätte ich auch rechts herum gehen können. Ich treff nämlich überall auf das gleiche Bild: Wartende, die sich um ein vergittertes Büro drücken, ihre Fackel in die Höhe und durch die Gitterstäbe halten. Kaum Frauen.

Ich nähere mich dem Ende einer Warteschlange (die gibt es gezwungenermassen, weil der Gang so schmal ist) und halt mein Papier jemandem vor die Nase. Sofort beginnen zwei, drei Männer zu diskutieren, ob ich das Ding überhaupt brauche oder nicht. Blöd. So komm ich nicht weiter. Ich quetsch mich an den Wartenden vorbei, direkt vor das Gitter. Frauen dürfen/müssen das. Nach ein paar Minuten erbarmt sich einer der Beamten da drin, guckt mich an und sagt „nebenan“. Ok, d.h. Frauen nebenan. Nur: nebenan ist das Büro verwaist. Es hat weit und breit ja auch keine Frauen!

Ich geh den Gang entlang weiter, bis ich wieder eine Büroöffnung entdecke, und frage höflich, ob ich hier richtig sei (ich weiss ja, dass ich das nicht bin). Ein junger, höflicher Beamte, der auch noch sehr gut Englisch spricht, steht sofort auf, öffnet das Gitter und läuft mir davon. Ich hinterher, zurück zum Büro „nebenan“ von vorhin. Er öffnet das Gitter, setzt sich an das winzige Pult und studiert meine Papiere. Das eine, das ich extra noch im Kabäuschen geholt hab, brauche ich nicht – es gilt für die zweifarbigen Nummern. Ich hab eine neue, einfarbige. Er sucht meinen Akt (ich bin überall dokumentiert!) und findet keine Verkehrsbussen. Er steht wieder auf, sagt mir, dass ich in einem anderen Büro bei zwei Beamtinnen warten solle. Beide begrüssen mich freundlich. Die eine bereitet sich Tee zu, die andere guckt ihr zu und beide schwatzen. Ob ich auch Tee will? Nein danke. Warum nicht? Ich mag keinen Tee. Wasser? Nein danke, hab ich selbst. Woher…? Und so weiter…. bis mich der junge höfliche Beamte erlöst. Er gibt mir meinen Fahrzeugausweis zurück, an den er einen kleinen Zettel geheftet hat. Geschafft.

(Das WC beschreib ich jetzt lieber nicht).

Wieder beim Verkehrsamt
Es ist halb elf. Ich hol mir das Papier für die Fahrzeugsteuer bei dem jungen Mann, der nicht wie auf einem Bazaar herumbrüllt. 118 Pfund. Ein tolles Papier. Ich lege es in mein Dossier und spaziere schon fast froh wieder in die Halle hinein, zurück zum Schnauzbärtigen. Der nimmt mein Dossier, prüft nochmals alles, notiert meine Telefonnummer und winkt mir, ihm zu folgen.

Zu einem anderen Beamten, der bleich die allerletzten Kontrollen macht. Vor mir steht ein furchtbar dicker junger Mann, der mehrere Fahrzeuge einlöst. Ich hab keine Chance, mich bemerkbar zu machen. Mein Dossier liegt vorerst. Der dicke geht und ich werde bemerkt. Der bleiche Beamte kontrolliert mein Dossier minuziös und streicht sich in einer Geste der Verzweiflung über das Gesicht. Fehler. Scheibe. Was? Englisch gibt es nicht. Aber ich verstehe: die Fahrzeugsteuer-Police ist falsch. Sie muss zwei Monate länger gültig sein als der Fahrzeugausweis. Zwei Monate zusätzlich kaufen. Ok. Ich geh wieder hinaus zu dem jungen Mann, der nicht wie auf dem Bazaar brüllt. Der andere daneben brüllt noch immer jedem Kunden entgegen. Ein anderer Kunde vor mir hat das gleiche Problem – das macht uns zu Genossen. Der junge Mann schreibt eine neue Police, fotografiert sie, trägt sie in seiner Liste ein. 27 Pfund.

Zurück zum bleichen Beamten; er guckt die Police an und weist mich an einen weiteren Schalter, wo ich zahlen soll. Durch ein winziges vergittertes Fensterlein reiche ich 225 Pfund und erhalte dafür eine unleserliche Quittung. Die bringe ich dem bleichen Beamten und er bedeutet mir, dass alles ok sei.

Das heisst warten.

Inzwischen studiere ich die Menschen, die da ein und ausgehen. Ein Mann mit völlig verkrüppelten Beinen hangelt sich die Wand entlang. Er kann nur ein oder zwei Schritte frei gehen und braucht Stütze. Sein Begleiter reicht ihm die Hand und sie verschwinden aus meinem Blickfeld.

Ich warte. Neben mir wartet eine Ägypterin. Wir lächeln uns kurz an.

Ein Nachbar taucht auf. Er ist Italiener und hat einen ägyptischen Bekannten dabei, der ihm bei dem Prozedere hier hilft. Wir quatschen eine Weile. Dabei erfahre ich, dass der Fahrzeugausweis zwei Monate nach Ablaufdatum gültig ist. Aha!!! Nun verstehe ich.

Ich warte immer noch.

Ein weiterer Bekannter taucht auf. Wir plaudern über die politische und wirtschaftliche Situation. Er geht weg. Ich guck die Leute an. Er kommt wieder. Wir plaudern weiter. Ich hol mir nun doch noch eine Flasche Wasser am Kiosk. Es dauert halt schon noch 'ne Weile. Ich mach mir auch gar keine Illusionen.

Warten.

Logisch, können die das überdimensionierte kafkaeske Bürokratie-System in diesem Land nicht umkrempeln und auflösen. Es gibt ca. 7,2 Millionen Beamte für die 90 Millionen Einwohner. Würde man dieses Verhältnis auf ein halbwegs normales Niveau reduzieren, würden auf einen Schlag mehrere Millionen Menschen ohne Arbeit dastehen. Zusätzlich zu den 20 oder so Prozent Arbeitslosen. Unmöglich. Also werden die Bürger weiterhin von Stockwerk zu Stockwerk, von Büro zu Büro, von Dossierverkäufern zu Stempeldrückern und von Stadtteil zu Stadtteil gejagt. In Hurghada geht das übrigens noch glimpflich zu und her. Den wahren Albtraum erlebt jeder Antragsteller in Kairo, in der Mugamma – einem kafkaesken Gebäude, indem beinahe zwanzigtausend Beamte arbeiten bzw. so tun, als ob. Dieser völlig überdimensionierte Beamtenapparat belastet dabei – zusammen mit den sinnlosen Subventionen – das Staatsbudget am meisten. Derjenige, der wagt, daran zu rütteln, riskiert einen Volksaufstand. Klägliche Versuche sind in der Vergangenheit gescheitert.

Mein Name wird gerufen. Um Viertel vor Eins – also nach knapp vier Stunden – reicht mir der Schnauzbärtige den neuen Fahrzeugausweis. Er lächelt: sogar mein Name ist nun richtig geschrieben!

Wow. Gut gegangen. Allein hab ich es geschafft. Zufrieden, eine weitere Hürde hinter mich gebracht zu haben, fahr ich davon.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.