Donnerstag, Dezember 03, 2015

Ein Festival für Beduinen

Jetzt ist Ägypten wieder in den Schlagzeilen, in denen Angst und Panik verbreitet werden. Sobald – sofern! – sich das wieder beruhigt hat, denkt man wieder an die bunten Korallenriffe und die wundersamen Lebewesen des Roten Meers, an den Nil und an die sagenhaften Tempel und Gräber der Pharaonen.

In diesem riesigen, alten Land steckt noch so viel mehr drin und ich bin jedes Mal glücklich, wenn ich wieder einen Teil der reichen und vielfältigen Kultur entdecken darf. Im August habe ich zufällig von einem „Characters of Egypt Festival“ gehört und mich gleich danach erkundigt. Allerdings habe ich nur spärliche, nicht aktuelle Informationen gefunden – bis mir eine Freundin sagte, dass das Festival dieses Jahr in ihrer Nähe stattfände.


Einzug der Kamele

Nubier (links oben in Schwarz die Frauen)


Ursprung
Die Idee für das Festival kam von einem Mann, der viele Jahre in der Wüste bei und mit den Beduinen gelebt hat. Er wollte die verschiedenen Stämme zusammen führen. 2008 fand das Festival erstmals im Nationalpark Wadi El Gamal, um die 300 km südlich von Hurghada, statt. Bis 2012 wurde der Anlass jährlich durchgeführt und gemäss Aussage des Festival-Gründers, Waleed Ramadan, nahmen Vertreter der meisten Beduinenstämme Ägyptens daran teil.

Heuer nun gab es einen Neustart etwas ausserhalb von Port Ghalib. Für die in der Gegend lebenden Beduinen, die Beschary, ist ein Gelände für Kamelzucht und Rennausbildung aufgebaut worden. Um die Rennbahn herum liegen Beduinen-Zelte, ein Gästehaus, sanitäre Anlagen, eine grosse Tribüne und Wirtschaftsgebäude mit Büro und Küche. Der perfekte Ort also für den Anlass.

Festival
Das Festival ist für die Beduinen und nicht ein künstlicher Folklore-Anlass. Es gab Zeiten, in denen sie sich bekriegt haben – heute kämpfen sie mit den gleichen Sorgen und Problemen und sollen dies künftig gemeinsam tun. Am Festival messen sie sich bei Kamelrennen (Reiter und Fahrer im Sulky) sowie Hoch- und Weitsprung. Es wird ausgiebig diskutiert, gesungen, getanzt und musiziert. Zu jeder Tageszeit ertönt irgendwoher Gesang, klatschende Hände oder die Klänge einer Semsemeya begleiten ihn.



kurz vor dem Start

Blick von der Tribüne

Das Festival steckt in den Kinderschuhen. Der Anlass wurde kaum beworben, folglich haben sich nur wenige Besucher (Ägypter wie Ausländer) dorthin „verirrt“.  Eine einzige Journalistin (hier ihr Artikel) fiel mir auf. Ein Programm versprach, was die ägyptische Realität gar nicht einhalten konnte. Die Stimme des Ansagers krächzte in ein Mikrophon; trotzdem verstand ihn kaum jemand. Die Bühne lag am Abend im Dunkeln - die Sänger und Musiker störte das nicht. Man konnte sich auch verpflegen; allerdings mit viel Verspätung, Detektivarbeit und Geduld. Sympathisch ägyptisch eben.

Es fehlten aber nicht nur Besucher, sondern auch Teilnehmer. Die Organisatoren hatten mit den für Ägypten typischen Widrigkeiten zu kämpfen: Zusagen und Versprechen, die nicht eingehalten wurden, Desinteresse, Selbstüberschätzung. Viele Beduinen konnten gar nicht herkommen, weil es an Transportmöglichkeiten fehlte. Die hätte eigentlich das Ministerium für Tourismus zugesagt, zwei Tage vor dem Anlass aber wieder abgesagt. Ausserdem hatte es kurz davor in ganz Ägypten enorme Überschwemmungen gegeben.

Einige Details wurden liebevoll vorbereitet und umgesetzt. So wurde z.B. eine eigene Währung erfunden, der „Gaoud“, der als alleiniges Zahlungsmittel angenommen wurde. Ein Camp mit Zelten stand bereit, in denen die freiwilligen Helfer untergebracht waren und die Besucher mieten konnten. Ein Shuttlebus pendelte zwischen dem „Camel Yard“ und einem eigens für den Anlass eingerichteten Strand an einer wunderschönen geschützten Bucht, einige Kilometer weiter nördlich. Eine von Hand gemalte Tafel zeigte auf, wo die jeweiligen Beduinenstämme ihre Zelte aufgestellt hatten.

Camel Yard Port Ghalib

Die Währung im Camel Yard - eine Illusion :)

In einem der Zelte wurde ein Film über die Bedeutung der Kamele gezeigt: das „Wüstenschiff“ spielt noch immer eine grosse Rolle im Leben der Beduinen. Es ist Transportmittel, Milch-, Fleisch- und Wolllieferant und bringt Geld ein, wenn es Rennen gewinnt oder an reiche Araber verkauft werden kann.



der Nachwuchs

Kunstvolle Handarbeiten der Beduinen waren in einem weiteren Zelt ausgestellt: weiche Teppiche, viel Schmuck aus Glasperlen, Stickereien auf schwarzen Kopftüchern, Gewändern und bunten Umhängetaschen, warme Strickwaren aus Kamelwolle, Malereien… Dort habe ich einen raren Honig entdeckt: von wilden Bienen, die Nektar von Pflänzchen zwischen Felsen im abgelegenen Gebirge im Sinai und den Red Sea Mountains sammeln. Dem Honig werden besondere Heilkräfte zugeschrieben und ich hab gleich etwas davon gekauft.

„Typisch“ Ägypten und trotzdem oder sogar genau deshalb war der Anlass unverfälscht, echt und liebenswürdig. Genauso neugierig, wie unsereiner die Beduinen bestaunten, bestaunten sie uns. Als ich von Beduinenzelt zu Beduinenzelt schlenderte, wurde ich überall herzlich begrüsst und eingeladen, mich auf den ausgebreiteten Teppichen niederzulassen und Kaffee oder zu trinken. Eine wunderbar friedliche Atmosphäre lag über dem Gelände und dem Anlass.

Beduinen Ägyptens
Ursprünglich stammen die meisten Beduinen von der Arabischen Halbinsel (eine Ausnahme bilden die Jabaleya vom Katharinenberg im Sinai; sie waren vor 1‘400 Jahren von Mazedonien geschickt worden, um das Katherinenkloster zu bauen bzw. zu bewachen). Über die Sinai Halbinsel sind sie auf den afrikanischen Kontinent gekommen und haben sich in den Oasen der Westlichen (d.h. westlich des Nils) und Östlichen Wüste (auch Arabische Wüste) und den Redsea Mountains niedergelassen; sie folgten dem Nil entlang bis in den Sudan und Eritrea. Beduinen leben ursprünglich von Viehzucht und jene, die am Meer leben, von der Fischerei. Viele sind zwangsweise sesshaft geworden und leben vom Safari-Tourismus.

Aufgefallen sind mir die Unterschiede in ihrer traditionellen Kleidung. Jene der Beduinen vom Sinai und der Oase Siwa im Nordwesten Ägyptens gleicht eher der Kleidung der Saudis, mit den rot-weissen Kopftüchern und dem schwarzen Ring; ihre Gewänder sind weiss, wenn es kühl wird tragen sie dazu ein Sakko; die Beduinen der Oasen in der Westlichen und Östlichen Wüste hingegen tragen eine um den Kopf geschlungene Kufya und ihre Gewänder sind aus verschiedenen Farben: grün, braun, beige, weiss, grau. Einige tragen Gilets, andere, z.B. die Nubier, tragen Gürtel – zumindest bei Festen. Auch die Art der Zelte ist unterschiedlich: sie sind aus geflochtenen Matten, aus Wolle gewobenen oder aus Stoffen zusammen genähten Bahnen. Gemeinsam ist ihre Form: die Front ist einladend offen und lässt auf bunte Stoffwände und Teppiche sowie Dekorationen blicken.
Anwesend waren Beduinen aus Siwa und Farafra, Nord- und Südsinai, Arab El Shararat, Nubien, Bashareya und Ababda.


Bashery



Die ursprüngliche Musik von Naturvölkern hat mich auf all meinen Reisen immer wieder magisch angezogen. Auch diesmal: Es sind rhythmische Melodien aus warmen Klängen, die sich immer wiederholen, bis man fast in Trance fällt und Ruhe… vielleicht Glück empfindet. Rein und mit einfachen Instrumenten erschaffen: klatschende Hände, Tabula, Semsemya. Nur Männer haben musiziert, gesungen und getanzt – mit einer Ausnahme: bei den Nubiern gehörten auch die Frauen dazu.

Versammlung und Diskussion
Auch wir „Nicht-Beduinen“ wurden eingeladen, der Versammlung der Scheichs der teilnehmenden Stämme beizuwohnen. Es solle um Kämpfe und Kriege gehen, hiess es.

Während wir auf den Beginn der Diskussion warteten und warteten, erklärte uns der Festivalgründer, dass die Beduinen eine andere Einstellung zur Zeit hätten. Auch wenn sie alle Uhren und Handys auf sich trügen, sprächen sie nicht von „zehn Uhr“ sondern von „Sonnenaufgang“ und „Sonnenuntergang“. Wenn es heisse „um Mittag“, dann könne das bedeuten, dass jemand halt erst eine halbe Stunde später eintreffe; die Wartenden würden sich darüber nicht aufregen und die später Eintreffenden sich nicht beschämt fühlen.

In der Wüste leuchtet das ein. Im modernen Alltag hat sich diese Einstellung offenbar auf ganz Ägypten ausgebreitet – ob sinnvoll oder nicht, sei jetzt mal dahingestellt. Jedenfalls fiel uns das Warten weniger schwer.

Mit der Zeit füllte sich das Zelt mit Persönlichkeiten in traditionellen Gewändern. Älteren wurde respektvoll Platz gemacht, höfliche Grüsse ausgetauscht. Niemand schwatzte, niemand tratschte, es war von Anfang bis zum Ende eine würdevolle Stimmung.

Eine Polin und ich waren die einzigen Ausländerinnen; ich sass zwischen zwei jungen Ägypterinnen; die rechts von mir sollte übersetzen. Glücklicherweise verstand ich das Meiste, was gesprochen wurde, und musste nur hie und da nach der Bedeutung eines Wortes fragen. 

Zu Beginn tauschten die Scheichs Höflichkeiten aus, lobten das Festival und die Organisation, sprachen darüber, wie wichtig es für die verschiedenen Stämme wäre, sich kennen zu lernen und auszutauschen. Ziel dieser Zusammenkunft war, sich zu vereinen und künftig geeint der ägyptischen Regierung gegenüber zu treten und Lösungen für ihre Probleme zu finden.

Ausgerechnet an diesem Morgen war das russische Flugzeug über dem Sinai abgestürzt und noch ahnte niemand, welch katastrophale Auswirkungen das erneut auf den Tourismus haben würde. Die Weisse Wüste und die Bahareya Oase sind seit dem Zwischenfall im September mit den mexikanischen Touristen gesperrt. Der Nord-Sinani ist totales Sperrgebiet. Viele der anwesenden Beduinenstämme leben vom Safari-Tourismus, der immer mehr eingeschränkt wird. Ein Scheich betonte, niemand könne besser für Sicherheit in ihrem Gebiet garantieren, als die Beduinen selbst. Das könne weder das Militär noch die Polizei. Sie möchten in diesem Bereich vom Staat ernst genommen werden und das gehe nur, wenn sie sich alle zusammenschliessen würden. Sie möchten Lösungen erarbeiten, um die einzigartigen Naturschönheiten von Wüste und Gebirge ihrer Heimat, ihre Tradition und ihre Kultur den Touristen wieder zugänglich zu machen.

Ich lauschte den Worten, beobachtete diese Männer in ihrer traditionellen Kleidung, studierte Gesichtszüge und Gesten. Tradition, Würde, Respekt. Niemand fiel jemandem ins Wort, jeder durfte reden so lange er es als nötig empfand. Wer sich melden wollte, hob die Hand. So ganz anders, als den Eindruck, den ich vom lästigen Taxi-Bazaar-Pöbel in Hurghada habe. Nicht einmal (während des ganzen Festivals) wurde ich blöd angemacht, angestarrt oder belästigt. Die Worte von Freunden irrten in meinem Kopf herum, wonach Hurghada unter den typischen negativen Krankheiten leide, wie jeder Touristenort. Das hingegen, was ich hier in diesem Zelt inmitten dieser ehrwürdigen Männer erlebte, ist Teil des wahren Ägyptens. Ich bin mir sicher, dass ein Grossteil der Ägypter keine Ahnung davon hat, wie reich an Kultur, wie respektvoll im Umgang mit ihresgleichen und mit der Natur die „einfachen“ Beduinen sind.

Und dann schlug jemand vor, sie sollten doch auf Facebook eine Gruppe gründen, auf der ihre Probleme diskutiert und Lösungen besprochen werden sollten. Ich musste lachen: das passte so gar nicht in diese Atmosphäre! Und doch: auch die Beduinen leben im Jahr 2015!

Ein Vertreter des Tourismusministeriums und ein Foto-Journalist mischten sich in die Diskussion über das Festival ein und schoben sich – auch das typisch Ägypten – gegenseitig die Schuld für die schwache Vermarktung des Festivals in die Schuhe. Gleichzeitig würden ja Parlamentswahlen stattfinden – an die sowieso niemand ging, die Stimmbeteiligung lag bei etwas über 20% und gefälscht waren sie auch – und ein bekannter Sänger in Kairo auftreten. Damit wären die (staatlich gesteuerten und überwachten) Medien schon so beansprucht, dass sie nicht auch noch ein paar Journalisten in die Provinz senden könnten – so die Meinung. Zwischenbemerkung: und das bei einer Bevölkerung von fast 90 Millionen!? Künftig, so wurde versprochen, soll das besser werden. Wer’s glaubt.

Der Festivalgründer sprach auch davon, Sponsoren kontaktiert zu haben, aber keine Rückmeldung von Egypt Air und anderen Grossunternehmern erhalten zu haben. Wundert das jemanden?

Zurück zu den Problemen der Beduinen. Facebook allein genügt doch nicht. Nach langem Debattieren wurde beschlossen, einen Rat von Vertretern eines jeden Stammes zu bilden; endlich wurden Telefonnummern und Namen notiert. Zu diesem Rat sollten aber nicht nur die Scheichs sondern auch Junge gehören. Die Vertreter sollen sich regelmässig treffen und mit der Regierung in Kontakt treten.

Idee dieses Treffens ist auch, dass die Anwesenden in ihren Stammesgebieten von diesem Festival berichten und Bekannte und Freunde auffordern teilzunehmen. Die Bewegung solle alle Beduinen bis an die Nilquelle und bis Marokko aufnehmen, sofern sie einen gemeinsamen Ursprung mit den ägyptischen Beduinen hätten. Grosse Worte und Gedanken…

Nach eineinhalb Stunden zerstreute sich die Versammlung. Ich ging nochmals in der wunderschönen Bucht schwimmen.

Naturvölker am Rande
Auf der langen Rückfahrt zurück nach Hurghada haderte ich über die Ungerechtigkeiten dieser Welt: es sind immer die ehrlichen, einfachen Menschen, die indigene Bevölkerung, die Schwachen, die sich dem Diktat der Politik und den Mächtigen gegenüber sehen und früher oder später einknicken. So viel wertvolles Wissen, reiche Kulturen und Traditionen gehen verloren, werden unterdrückt. Sie sind es auch, die sorgfältig mit den Ressourcen unserer Erde umgehen. Sie denken und handeln nachhaltig.
Das macht mich traurig. Gleichzeitig bin ich aber dankbar, dass ich wieder einen wunderbaren, verborgenen Teil Ägyptens wenigstens ansatzweise entdecken durfte.


Nachfolgend einige Bilder und Videos. Die Videos publiziere ich vor allem wegen der Musik – es war schon zu dunkel für meine kleine Kamera.

der Eine guckt ins Handy - der andere döst






Nubische Musiker in Festkleidung



Rennvorbereitungen am zweiten Tag




erste Runde gefahren





von Siwa

vom Stamm der Rashidy

ein Nubier


















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