Donnerstag, November 19, 2015

Nichts Neues auf dem Immobilienmarkt in Hurghada

Jedes Mal, wenn ich an dem Neubau vorbei fahre, denke ich an sie. Ob wohl wirklich alles ok ist, wie sie immer sagt? Die Fassade leuchtet dezent gelb; ich sehe, dass erst ein oder zwei Klimaanlagen eingebaut sind – noch wohnen wenige Leute da. Jetzt ist die Wellblechwand, die mit den ägyptischen Farben bemalt war, teilweise entfernt. Es ist ein U-förmiger Bau, offen gegen Süden, in der Mitte ein Loch für den Swimmingpool.

Sie hat mir erzählt, sie hätte einen Anwalt genommen, hätte den grünen Vertrag (den Beweis für den rechtmässigen Grundbucheintrag) und alles sei ok.

Gestern rief sie mich an, aufgelöst, durcheinander. Das Gebäude ist illegal erstellt worden. Alle grünen Verträge sind deshalb ungültig. Am Vorabend sei plötzlich eine ägyptische Familie vor ihrer Wohnungstüre gestanden und wollte einziehen. Die Wohnungen werden zwei Mal verkauft.

Jetzt lässt sie Gitterstäbe vor Fenster und Türe einbauen. Hat Besprechungen mit Anwälten. Das Mädchen ist junge 24 Jahre alt.

Ihr steht ein jahrelanger Kampf bevor. Die Gerichte arbeiten zähflüssig, Anwälte sind unehrlich, Immobilienbetrüger sind auf freiem Fuss… nicht alle (Gerichte, Anwälte und so) tummeln sich im Halbdunkeln, aber viele.


Wieso nur habe ich immer an sie gedacht, als ich an dem Bau vorbei fuhr? Komisches Gefühl – wie so oft…  Ich hoff, sie kriegt Recht.

Mittwoch, November 18, 2015

In den Mühlen der Bürokratie (I)

Seit Anfang August gelten neue Regeln, um ein Visum zu verlängern. Ganz klar sind die Regeln noch nicht, es scheint aber, dass jeder, der nicht vom Flughafen einen Stempel im Pass hat – also sein Visum immer wieder verlängern liess – zuerst einen Wartestempel erhält. Der Staatssicherheitsdienst prüft dann den Antragsteller und das dauert offiziell zwei Monate; wegen Überlastung dauert es aber länger.

Danach gibt es je nach Fall ein befristetes Visum. Einige Antragsteller wurden auch gebeten, das Land (vorübergehend) zu verlassen, sie seien schon zu lange hier gewesen. Ein Visum vom Flughafen bei der Einreise ist erwünscht. Das praktische Rückreise-Visum ist offenbar abgeschafft worden; wer ausreist, verliert sein Visum und fängt neu mit dem Flughafen-Visum an und durchläuft dann den ganzen Prozess mit Antrag, Wartefrist usw. von neuem. Alle drei oder sechs Monate – je nachdem halt.

Ohne gültiges Visum kann man aber seinen Fahrzeugausweis nicht verlängern und ohne Fahrzeugausweis kann man keine Fahrzeugversicherung verlängern. Man kann weder Bankkonto eröffnen, noch ein Fahrzeug oder Immobilien kaufen.

Mittwoch, November 11, 2015

Hurghada ist ruhig

Momentan habe ich einfach keine Zeit, um zu schreiben. Aber da sich wieder Anfragen häufen, wie denn die Situation in Hurghada nach dem Absturz der Russischen Maschine sei, möchte ich dazu kurz Stellung nehmen.

Hurghada ist wie immer: es ist voller Verkehr und hektisch am Tag, die Strassen sind kaputt, auch wenn momentan grad da und dort neu asphaltiert wird, es ist kalt geworden, besonders mit dem böigen Sturmwind. Die Polizisten langweilen sich an ihren Checkpoints, schwatzen, trinken Tee und telefonieren. Manchmal werden Ausweise kontrolliert.

Wenn es hier gefährlich wäre, würden wir, die hier leben, auch abhauen. Aber wir bleiben und ärgern uns stattdessen über unsere Alltagsprobleme wie Visa, Strassenverkehr, Handwerker, Unzuverlässigkeit, Reparaturen, idiotischen Autofahrern und gesperrtem Skype-Zugang. Ganz normal also.

Das, was die Medien verbreiten ist Blödsinn. Es ist weder hier noch im Süd-Sinai  gefährlich. Die Sicherheitskontrollen sind lasch und ungenügend - aber das war und ist immer so, auch wenn alle 500 m Polizei und Soldaten mit Maschinengewehren stehen und sitzen, und wenn man in jeder Bank, jedem Hotel und im Einkaufszentrum durch eine Sicherheitschleuse gehen muss. Nur ein Beispiel: bei der Einfahrt in die Senzo Mall wird der Kofferraum inspiziert - warum, habe ich bis heute noch nicht kapiert. Fahr ich von der anderen Seite her in den Parkplatz, steht nicht mal ein Wachmann da, sondern ich komme problemlos auf das Gelände des Einkaufszentrums.

Im Übrigen glaube ich auch nicht an eine Bombe, die den Absturz der Russischen Maschine über dem Sinai verursacht hat, sondern an ein technisches Problem. Wäre eine Bombe an Board gewesen, wären Sprengstoffspuren gefunden worden. Davon hört man aber überhaupt nichts. Was momentan abgeht, ist politisch begründet. Ägypten wird bitter bestraft - wofür, weiss ich nicht.

Süd-Sinai ist leer, wie mir heute ein Bekannter berichtet. Die Beduinen glauben, dass der Westen Israel den Sinai geben will. Hier in Hurghada fangen sich die Hotels auch an zu leeren. Die wirtschaftliche Katastrophe bahnt sich an.

Obwohl sich die Sicherheitslage nicht geändert hat - nur das Wetter.
So ist das hier.

Samstag, Oktober 31, 2015

Auf einer Überlandstrasse

Ich war ein paar Tage in Port Ghalib, kurz vor Marsa Alam. Auf dem Weg dorthin und zurück habe ich erstaunliche Fahrzeuge gesehen. Hier zwei Bilder:

Im Kreisel umgekippt

Anhänger weggerutscht

Der Lastwagenanhänger oben lag bei der Ausfahrt aus einem Kreisel; das Schleppfahrzeug stand dahinter. Als ich knapp 20 Stunden später wieder an diesem Ort vorbei fuhr, stand ein anderer Lastwagen dort, auf den die Ladung aufgeladen worden war. Von der anderen Richtung fuhr grad ein Abschleppfahrzeug mit einem Bagger vorbei - die Leute riefen und winkten, um den Fahrer auf sich aufmerksam zu machen. Er hielt prompt an. 

Wenn ich solche Ereignisse mitkrieg, wird mir schwer ums Herz: die Menschen hier haben so schlechte Voraussetzungen, müssen sich immer selbst irgendwie aus dem Schlamassel helfen. Vielleicht sind Ägypter deshalb so hilfsbereit?

Der zweite Unfall war auf gerader Strecke, weit und breit keine Kurve, kein Hindernis, nichts. Es war kurz nach Sonnenuntergang, als ich vorbei fuhr. Wahrscheinlich werkeln sie noch im Halbdunkel am Lastwagen herum...

Was ich nicht fotografieren konnte, waren die Lastwagen, die ohne Scheinwerfer und ohne Rücklicht im Dunkeln unterwegs sind. Ich hab sie zum Glück gesehen und bin an ihnen vorbei gefahren. Tief schluckend. Mit Horrorvorstellungen im Kopf. Wenn ich es selbst nicht sehen würde, würde ich es auch nicht glauben.

Sonntag, Oktober 25, 2015

Ausnahmezustand

Nicht wegen der Politik, auch nicht wegen den ach so gefährlichen Terroristen, gegen die Ägypten „im Krieg“ ist. Nein, Teile Ägyptens sind im Ausnahmezustand wegen dem Regen.

Vergangene Nacht hat es an der Nordküste gestürmt, gehagelt und geregnet. Alexandria steht praktisch unter Wasser. Autos wurden von herabfallenden Mauerteilen zermalmt, in Unterführungen und Strassen schwimmen Autos und Unrat. Die Menschen gehen beinahe hüfthoch im Wasser. Sieben Menschen wurden durch Stromschläge getötet. Ein Tram brennt.

In Spitälern, Wohnungen, Büros und Geschäften steht das Wasser einen Meter hoch. Ein Bekannter hat mir erzählt, dass seine Hose bis zu den Schenkeln nass ist; Alexandria sei wie Venedig. Der Strom war stundenlang abgestellt; die Telefonleitungen sind immer wieder unterbrochen.

Es gibt keine funktionierende Kanalisation, obwohl gerade die Nordküste und mit ihr die zweitgrösste Stadt Ägyptens Winter für Winter im Regen- und Meerwasser versaufen. Heuer hat der Winter dort schon zum zweiten Mal zugeschlagen. Die Bevölkerung ertrinkt im eigenen Dreck wegen der jahrzehntelangen Vernachlässigung und Korruption von Regierung und Beamten.

Witzbolde und Schlaumeier sind dann sofort zur Stelle: ein Bild mit El Sisi mit Blick auf eine überschwemmte Strasse zirkuliert mit dem Vermerk: Es wird El Sisi zur Eröffnung des neuen Kanals in Alexandria gratuliert (ein Seitenhieb i.S. zweiten Arm des Suezkanal). Ein kräftiger Ägypter verdient sich Geld, indem er Passanten durch das kniehohe Wasser trägt. 900km von Hurghada entfernt.

Heut hat es aber auch hier geregnet. Nicht nur getröpfelt, wie es im Herbst und Winter hie und da vorkommt; nein: es hat richtig und anhaltend geregnet. Stundenlang hingen dicke, dunkle Wolken über den Bergen, es blitzte und donnert.

Vielerorts ist der Strom abgeschaltet, Restaurants und Cafés sind zu, wer kann, bleibt daheim. Ich hätte zu Fuss nach Hause gehen sollen und wollte dies auch – trotz oder wegen dem Regen. Die Luft ist so wunderbar frisch und sauber. Vergessen habe ich aber, dass die durchlöcherten Sand-Holperpisten sich mit Regen zu einem glitschigen Gemansche verwandeln. Das Wasser läuft ja nirgends ab und sammelt sich an den tieferen Stellen. Deshalb sind auch viele Strassen unpassierbar.

Einige Wohngegenden von Hurghada sind heute Abend vom Wasser eingeschlossen, manche haben keinen Strom. Ist vielleicht auch besser so.


Regen im Oktober in Hurghada, Regen im März und Mai in Hurghada… die Natur ist aus dem Rhythmus gefallen. Der Regierung fällt darauf nur ein: den Ausnahmezustand und Versprechungen für die Zukunft auszusprechen. 

PS: Entschädigung oder Hilfe für Betroffene gibt es nicht.

Alexandria heute
Alexandria - normalerweise ist vor dem Geländer ein breites Trottoir
Alexandria

Ohnmacht
Unterführung beim Montazah Park
Four Seasons Hotel in Alexandria

El Sisi weith den neuen Kanal in Alexandria ein :)


Dahar / Hurghada heute Abend (Quelle Facebook-Gruppe Hurghada Residents)

Quelle: alle Bilder aus Alexandria von der Facebook-Seite Alexandria Citizen

Donnerstag, September 24, 2015

Glücksache: gesund werden

Da stehe ich also im „Öffentlichen Krankenhaus“ von Hurghada. Ich hab mich auf vieles gefasst gemacht, rechne mit allem. Der junge Mann am Empfang sagt mir, dass jetzt niemand mehr in der radiologischen Abteilung da ist, ich solle morgen wieder kommen. Es ist kurz nach eins am Nachmittag!

Am nächsten Tag stehe ich um neun Uhr wieder da und lass mir den Weg zum Radiologen erklären. Da hin, da entlang, ist alles, was er mir sagt. Ich gehe durch staubige Gänge, vorbei an schäbigen Türen. Eine voluminöse Frau in Kopftuch wirft mir einen bösen Blick zu, während sie mit dem Fuss eine leere Kartonschachtel vor sich her schubst. Es liegt noch mehr Abfall herum. Wohin sie wohl die Schachtel kickt? Hinter ihr steht die Tür offen und gibt den Blick frei in einen schmuddeligen Raum, wo ein paar Frauen hocken und tratschen. Ich gehe weiter, vorbei an kahlen Wänden und an Türen, die vor vielen Jahrzehnten beschriftet wurden.

Samstag, September 19, 2015

Leichtigkeit

Leicht kuscheln die Wellen an den Sand, unsicher, flüchtig, ziehen sie sich wieder zurück. Die rauen Sandkörner, zerbrochenen Muscheln und Korallenstücke summen zusammen mit dem Wasser eine beruhigende Melodie.

Eine Wolke wie eine umgekehrte Pyramide streckt sich über die Bucht, hüllt sie in Schatten, der um diese Jahreszeit willkommen ist. Ein paar verlorene Schäfchenwolken driften davon.

Sanfte Wellen tragen den Schwimmer, verwöhnen ihn behutsam, heilen seine Seele.

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Wortfetzen wie Ohrfeigen fliegen mir zu: eine äthiopische Nanny wechselt einem ägyptischen Kleinkind die nassen Badehosen, setzt es ins Tragbett und bindet es an. Mit schnalzenden Tönen versucht sie das Kind zum Essen zu begeistern. Die junge Mama spielt derweil im Wasser mit den anderen: Kindern und Männern.

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In Englisch erklärt ein Ägypter seinem Kind, dass es mit der Tauchmaske und der Schwimmbrille sieht, was im Wasser drin ist. Beides setzt er ihr auf und jedes Mal rennt das Mädchen im rosaroten Badeanzug ins Wasser. Weitere englische Laute… zu laute Laute… ich wechsle den Platz.

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Die Pyramide hat sich in Nichts aufgelöst. Le grand bleu – so poetisch nennen die Franzosen das, was wir in Deutsch „stahlblauer Himmel“ nennen. Warum „Stahl“? Was hat das mit diesem wunderbaren Blau zu tun? Wie unpoetisch von uns. Das ewige Blau fasziniert und setzt sich im klaren Wasser fort. Irgendwo dazwischen kreuzt ein Surfer über das Blau hinweg.

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Eintauchen in mein Buch, das mich fort, nach Aserbeidschan führt, wo es im Winter minus 30 Grad wird und die Menschen barfuss im Schnee gehen, weil sie so arm sind. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts war das so. Schreibt N.B. Er und sein Freund haben sich damals aufgemacht, per PW von der Westschweiz bis Indien zu fahren. Damals ein Hürdenlauf an Bürokratie, deshalb der Winter in Täbris. Heute? Wahrscheinlich unmöglich.

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„Meine Mutter hat uns einfach verlassen. Jahrelang liess sie nichts von sich hören…“ Wieder höre ich unfreiwillig Laute, Worte, Sätze. Doch diesmal kann ich nicht weghören und nicht woanders hingehen. Die Stimme, die einem gross gewachsenen Ägypter gehört (warum nur redet er mit seiner ägyptischen Partnerin Englisch? Die Oberschicht tut das…) fährt fort: „… sie war weg, mein Vater in Saudi Arabien… ich war auf mich allein gestellt, wusste oft nicht, was tun… Freunde fragen, Rat im Fernsehen holen… jetzt ruft sie jeden Tag an… eine Wohnung, ein Auto kaufen… ich will nicht, sie kann das nicht mehr gut machen… für mich ist sie einfach irgendeine Frau…“

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Die Leichtigkeit kommt in Gefahr. Ich nehme sie mit und gehe.