Sonntag, April 24, 2011

Leben fern der Heimat

Fast zwei Jahre lebe ich nun schon in Ägypten. Ich fühle mich wohl hier. Meine wahre Heimat ist es jedoch nicht, wird es nie sein, kann es gar nicht sein, sind doch die kulturellen Unterschiede riesig. Ägypten ist so etwas wie meine momentane Heimat geworden.

Ich fühle mich an vielen Orten wohl, sofern gewisse Bedingungen erfüllt sind und die „Abstriche“ nicht zu heftig sind. Ich sehe Verzicht, Einschränkungen und das „an andere Umstände gewöhnen“ als Übung, als Training für mehr Akzeptanz und Toleranz. Und dabei stelle ich zu meinem grossen Erstaunen immer wieder fest, dass man auch mit weniger sehr zufrieden leben kann! Sind wir doch ehrlich: da wo ich herkomme, sind wir recht verwöhnt!

Wie ist es denn nun, fern der Heimat zu leben? Welches sind die „Bedingungen“, damit man sich wohl fühlen kann? Jede Person wird diese Fragen wohl anders beantworten.

Für mich hat die Verbindung zur Heimat, zu Familie und Freunden und zu gewissen Gewohnheiten hohe Priorität. Regelmässige Gespräche via skype, emails und sms sind mir sehr wichtig. Was den Zuhause-Gebliebenen möglicherweise als langweiliger Alltag erscheinen mag (der erste Schnee, die ersten Osterglocken, Haus XY wurde abgerissen), ist für mich wichtig – denn so kann ich weiterhin an deren Leben teilnehmen. Ein täglicher Blick auf die Webcam ins Langlaufgebiet (im Winter) oder auf die heimatliche Bergwelt gehört dazu.

Niemals werde ich vergessen, wie umständlich es vor 24 Jahren war, als ich ein halbes Jahr lang durch Südamerika reiste: ich schrieb ellenlange Briefe nach Hause. Die Briefe waren wiederum ellenlang unterwegs. Ich schickte Pakete nach Hause. In Venezuela musste ich es in ein Leinentuch einnähen, also Stoff, Faden und Nähnadel kaufen. Meine Mutter schickte mir jeweils postlagernd Briefe an einen im Voraus bestimmten Ort. Ich schrieb Gebirge von Tagebüchern, denn Laptops waren noch nicht erfunden. Einmal pro Monat schickte ich ein einzeiliges Telegramm – heute gibt es diese Möglichkeit nicht mal mehr. Einmal im Monat rief ich zuhause an. In Argentinien musste ich z.B. Ferngespräche anmelden und über zwei Stunden auf die Verbindung warten. Telegramme und Anrufe kosteten ein kleines Vermögen. Doch dank dieser Kombination erhielt meine Mutter alle zwei Wochen ein Lebenszeichen von mir. Was für eine Qual das für sie gewesen sein muss!

Tempi passati! Wie viel einfacher ist es heute: wir können rund um den Globus jetten und sind jederzeit erreichbar.

Heikler ist es mit Freundschaften. Sie haben mich gelehrt, dass das Sprichwort „aus den Augen, aus dem Sinn“ viel Wahres enthält. Das tut weh. Manchmal bitter weh. Doch es ist eine Tatsache, mit der ich mich abfinden muss. Freunde in der Fremde zu finden ist nicht einfach, denn eine gemeinsame Basis – wie Schule, Arbeit, Sport oder Hobby – muss zuerst geschaffen werden, sofern das überhaupt möglich ist. In Hurghada ist es besonders schwierig, denn jeder will hier von jedem profitieren. Europäer inbegriffen. Ehrliche Seelen sind hier sehr rar zu finden.

Täglich lese ich auch Online Nachrichten, neben NZZ Online auch internationale. Das lokale Geschehen in meiner Heimat kann ich mangels guten Online Portalen leider nicht wirklich verfolgen. Umso wertvoller ist es für mich, wenn mir Freunde darüber berichten.

Dank Internet ist der Kontakt zur Heimat wirklich einfacher geworden. Ein Mausklick und die Heimat ist zum Greifen nah! Satelliten machen es möglich, dass ich meine deutschschweizerischen, welschen und Tessiner oder italienischen Lieblingsradiosender hören und selbstverständlich auch die Schweizer (oder deutsche) Tagesschau im Fernsehen verfolgen kann.

Ein kleiner Schock war für mich allerdings, als Radio DRS das Herunterladen von Podcasts im Ausland einstellen musste. Ich hörte mir z.B. immer so gerne die Sendung „Worldmusic Special“ an und wenn ich sie verpasste, lud ich sie herunter. Seit Anfang Jahr ist das leider Vergangenheit. Ein kleines Stückchen Heimat ist mit damit entglitten.

Nicht vermissen möchte ich mein Rennvelo. Lieber wäre mir das Mountainbike, doch das nützt hier nicht grad viel. Aber egal… Hauptsache, ich kann mich auf zwei Rädern sportlich austoben und die Gegend kennen lernen. Ein paar lieb gewordene Gegenstände, Bilder, Bücher und Erinnerungsstücke gehören auch zu mir. Ich gebe aber zu, dass ich allmählich mein „Hab und Gut“ vermisse und am liebsten alles mit einem Container herschaffen würde. Noch halte ich es aber aus.

Was ich hier nicht habe und nicht bekommen kann, erwarte ich jeweils sehnlichst mit all den Feriengästen aus meinem näheren oder weiteren Bekanntenkreis: Appenzeller Käse, Bündner Salsiz, Schwarzwälder Schinken, NZZ am Sonntag, Lindt Schokolade und noch eine gaaaanz lange Liste aller möglicher Köstlichkeiten…

Sogar an das Fladenbrot habe ich mich gewohnt. Zwischendurch kaufe ich auch mal ein Brot in der deutschen Bäckerei – es ist… naja… fast so wie zu Hause.

Die Vorfreude auf den nächsten Heimaturlaub all inklusive ist umso schöner! Könnt Ihr Euch das vorstellen? Und ausserdem: ich bin frei, jederzeit wieder dorthin zurück zu kehren, wo ich herkomme… oder mich woanders niederzulassen, sofern ich es nicht mehr aushalten kann. Noch aber geniesse ich diese anspruchsvolle, andere, ungewohnte Welt mit all ihren Schwierigkeiten und Annehmlichkeiten!


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