Freitag, August 16, 2013

Verlierer und Gewinner

Die Halbinsel Sinai wurde seit dem Friedensvertrag mit Israel „entmilitarisiert“. Das unzugängliche Berggebiet war fruchtbarer Nährboden und Tummelplatz für Menschenschmuggler, Kriminelle und Terroristen. Für die Vernachlässigung zahlt Ägypten jetzt einen hohen Preis: Anschläge gegen die Armee, Infiltration von Terroristen. Zu spät hat die ägyptische Armee die Schmuggeltunnels nach Gaza zerstört, zu lange hat die Regierung den Menschen- und Organhandel gewähren lassen. Riesige Waffenlager werden dort vermutet.

Seit Morsi und seine Bärtigen nicht mehr an der Macht sind, gibt es kaum mehr Warteschlangen vor den Tankstellen. Ebenso sind Stromunterbrüche und Trinkwassermangel verschwunden. Zufall? Der begehrte Treibstoff und Strom wurden in den Sinai geschmuggelt, die MB waren Profiteure.

Vor einigen Tagen notierte ich noch:

Die MB haben Sympathien verloren. Ihre Gier hat sie in den Abgrund gestürzt. Fragt sich nur, ob sie durch einen erneuten Handel mit dem Militär bzw. mit der Regierung (und unter Druck des Westens) mit einem blauen Auge davonkommen. Also in Freiheit bleiben und ihren zusammengerafften Besitz behalten können. Oder werden sie ordentlich verurteilt, ihr Vermögen konfisziert, die Partei verboten? Es wird wohl einen schmierigen Deal geben, wie so oft bei solchen Machtkämpfen.

Für beide Varianten ist es nach den Gewaltausbrüchen und Racheakten der vergangenen zwei Tage wohl zu spät. Zum Glück. Offenbar war ein Deal ausgearbeitet worden, der den Muslimbrüdern passte, den die Armee jedoch ablehnte. Das ägyptische Volk hätte das niemals zugelassen und wäre Sturm gelaufen; die Armee und die Übergangsregierung würden wohl vor einem noch grösseren Scherbenhaufen stehen als jetzt. Welches Land würde Terroristen freies Geleit gewähren? Die Muslimbrüder wollen das Land komplett zerstören und ins Chaos stürzen – sie haben ja nichts mehr zu verlieren - und hatten sogar Unterstützung dazu. Hart durchgreifen ist die einzige Möglichkeit, und die ist mit grossen Verlusten verbunden. Jedes Opfer ist ein Opfer zu viel – aber wenn nicht jetzt entschieden durchgegriffen wird, dann wird alles nur noch viel schlimmer. Afghanistan lässt grüssen. Hat die Armee die Gefahr erkannt? Lässt sich Ägypten nicht nochmals zum Spielball der Weltpolitik machen?

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Momentan steht Ägypten erneut als Verlierer da. Heute haben mehrere Länder Reisewarnungen heraus gegeben und einige evakuieren bereits ihre Bürger. Reiseveranstalter und Fluggesellschaften annullieren ihre Flüge. Ein zweites Mal innert drei Jahren erlebe ich mit, wie der Tourismus angehalten wird und mir tut es weh um jeden Einzelnen Tourismus-Angestellten, der wieder ohne Gehalt da steht, nach Hause fährt und nicht weiss, wann es wieder Arbeit und Einkommen gibt.

„Wir bezahlen jetzt den Preis dafür“ kommentierte einer meiner Studenten, ein Evangelist, neulich die Anschläge auf Kirchen und Geschäfte von Kopten. Nicht nur die Nicht-Muslime, alle Ägypter bezahlen jetzt, wenn der Tourismus erneut zum Stillstand kommt. 

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Gibt es aus diesem Machtkampf Gewinner? Möglicherweise die Armee, die Polizei und das alte System. Die Armee ist wieder an der Führungsspitze, der Polizeiapparat nicht reformiert, kaum jemand des alten Regimes wurde verurteilt bzw. Schauprozesse wurden ständig verschoben. Die wahren Schuldigen für Korruption, Folter, Mord und andere Verbrechen wurden nicht ernsthaft zur Verantwortung gezogen. Dafür sitzen noch immer Tausende Unschuldige im Gefängnis und die Todesursache sowie das Verschwinden von Hunderten bleiben im Dunkeln. Die kommenden Wochen und Monate werden es zeigen.

Verlierer sind all jene, die an so etwas Theoretisches und Unfassbares wie „Demokratie“ glaubten. Vielleicht werden sie jetzt ein zweites Mal betrogen… ich hoffe es nicht. Welch weiter Weg hat Ägypten noch zu gehen, um sich von der Einmischung anderer Länder zu befreien und die für das Land passende Demokratie zu finden!

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Trotz allen Blutvergiesses, trotz aller schlechten Nachrichten, sehe ich einen Hoffnungsschimmer: die Ägypter haben so vollkommen die Schnauze voll von den Muslimbrüdern, von all den Islamisten und der Vermischung von Religion mit Politik, dass die jetzigen Ereignisse den Weg für einen säkularen Staat ebnen könnten. Ägypten wäre das erste arabische Land… ein Traum?


2 Kommentare:

  1. Auch wenn Sie die Traurigkeit beschreiben, welch Folge es für die einfachen Leute hat wenn der Tourismus ausbleibt würde ich trotzdem gerne nochmals eine objektive Meinung, vor allem nach den Geschehnissen nach dem Freitag, sowie dem Toden in Hurghada selbst, von Ihnen hören, wie Sie als bald-Ägypten-Urlauber (24.08.) entscheiden würden. Im Moment macht mir das schon alles eine Menge Angst, und wenn man eingeschlossen in der Hotelanlage ist? Ich hoffe auf ruhe und habe immer noch einen funken Hoffnung meinen Urlaub in Ägypten zu verbringen!
    Viele Grüße von München nach Hurghada

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  2. Hallo Nela, Hurghada ist nach wie vor sicher und ruhig. Kairo ist 650 km weit entfernt! Ich war heute morgen 2 Stunden Rennradfahren und im Meer schwimmen. Alles ist normal. Den Todesfall gab es anlässlich der Auflösung der Demonstration im Stadtteil Dahar, der weitab von den Hotels liegt. Ich werde heute noch einen Blogeintrag zur Lage hier machen. Liebe Grüsse nach München

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