Mittwoch, Januar 27, 2016

Eine Uhrreparatur und ihre Folgen

Wer ein wertvolles Erbstück besitzt und dieses reparieren lassen möchte, tut gut daran, die Papiere über den Eigentumsnachweis mitzuliefern. Sonst kann der Versuch dramatisch enden. Zumindest in Ägypten.

Als MA. nach der Arbeit seinen Bruder H. nicht wie gewohnt zu Hause oder im Kaffee antrifft, wird er nervös. Sein Bruder braucht Medikamente, um psychisch stabil zu bleiben. Solange er seine Medikamente nimmt, geht das; DASS er sie aber regelmässig nimmt, kommt einem täglichen Hürdenlauf gleich und das ist MA.s Sorge.

Wenn also sein Bruder verschwunden ist, läuten bei ihm alle Alarmglocken. MA. fragt alle Verwandten und Freunde. Niemand hat ihn gesehen. Er läuft durchs Quartier, klappert alle Kaffeehäuser ab. Nichts. Mitternacht naht. Hatte H. einen Anfall? MA. ruft die Krankenhäuser der grossen Stadt an. Auch nichts.

Erst um drei Uhr morgens findet er den Vermissten in einer Polizeistation. Verängstigt, zitternd, schwitzend und bleich.

Was war geschehen?
H. war auf die Idee gekommen, die Uhr ihres verstorbenen Vaters reparieren zu lassen. Ein wertvolles Erbstück, der Vater war einst ein reicher Mann gewesen, ein erfolgreicher Geschäftsmann. Bis er in eine Spirale des Elends geriet: Tod der Ehefrau, Alkohol, fehlende Aufträge, unbezahlte Steuern, Krankheit, Armut.

Guten Mutes und in Erinnerung des Vaters packt H. die Uhr ein und marschiert zu einem Juwelier. Der begutachtet das Stück und bespricht sich mit seinem Kollegen. Doch anstatt den Auftrag anzunehmen und einen Kostenvoranschlag zu machen, wie das üblich ist, ruft er die Polizei.
H. sei ein Dieb, er habe eine teure Uhr gestohlen. H. wird von der Polizei abgeführt und verhört. 

Psychisch labil wie er ist, kann er sich gegen die Vorwürfe nicht wehren. Seine Beteuerung, es sei die Uhr seines Vaters, verpufft ins Leere. Seiner Bitte, den grossen Bruder anrufen zu dürfen, wird nicht stattgegeben. Apathisch, kreideweiss und zusammengefallen harrt er der Dinge, die da noch auf ihn zukommen sollen.

Kraftlose Beweise
Als MA. auf die Polizeistation kommt, ist sein Bruder in erdenklich schlechter Verfassung. Er erklärt den Sachverhalt um die Uhr. Er bittet um Verständnis für seinen kranken Bruder. Er legt den Kaufvertrag für die Uhr vor. Die Polizei hört zu, schaut sich das Papier an, versteht.

Trotzdem wird der Bruder nicht entlassen. Es soll doch ein bisschen was kosten. Erst, als MA. Bekannte anruft, die gute Beziehungen zur Polizei haben, darf er seinen Bruder mitnehmen.

Warum das alles? Der Juwelier und die Polizei wollten sich die Uhr aneignen und sich die Beute teilen.

Zu Tode geprügelt
Ungefähr zur gleichen Zeit (im Spätherbst 2015, in Luxor und Ismailia) wurde je ein Fall bekannt, wonach Familienväter unter dem Vorwand, Drogenhändler zu sein, festgenommen wurden. Eine Abrechnung angeblich. Im Gefängnis wurden sie so arg zugerichtet, dass sie kurz darauf ihren Verletzungen erlagen. Das ist nicht wirklich etwas Neues hier – Aufsehen erregt hat aber, dass die Familien und Freunde der beiden auf die Strassen gingen, um gegen Willkür und Gewalt der Polizei zu protestieren.


H. hatte Glück gehabt. Es hätte ihm ähnlich ergehen können.

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