Montag, April 13, 2015

Sham El Nessim

So heisst in Ägypten das Fest, an dem der Frühling gefeiert wird. Traditionell strömen die Menschen morgens aus dem Haus, sitzen an den Nil oder ans Meer, lassen sich in Parks und auf Plätzen nieder und geniessen die frische Brise mit gekochten und bemalten Eiern, Frühlingszwiebeln und gesalzenem Fisch.

Ich zieh mir ein hübsches Kleid an, wähl dazu passende Ohrringe und Halskette sowie ein leichtes Jäckchen… am Morgen habe ich schon den Balkon gewischt und die Möbel abgestaubt. Nach der kurzen Hitzewelle und dem darauffolgenden Kälteeinbruch mit Sandsturm ist es endlich wieder mild und angenehm. Herrlich mild mit kühlen Nächten und warmen Tagen, warm genug auch im Schatten zu sitzen. Ich würd am liebsten die ganze Wohnung auf den Kopf stellen, umstellen und putzen, den Staub und Sand hinaus befördern. Deutliches Zeichen für den Frühling.

Mit einem frisch gebackenen Kuchen setz ich mich ins Auto und fahre zu einer Freundin. Sie hat zu Sham El Nessim eingeladen. Kinder springen quirlig im schattigen Garten herum; sie sind aufgeregt: sie dürfen Eier anmalen und das schönste Ei soll mit 20 Pfund prämiert werden. Die Erwachsenen sitzen und plaudern, geniessen die laue Brise. Fröhliches Sprachengewirr aus einem halben Dutzend Länder. Unsere Gastgeber haben typisch ägyptische Gerichte zubereitet: Ta’ameya (in Fett gebratene Klösschen aus Bohnen und Hummus), Fatira (lecker, aber furchtbar fettig), frisches, selbst gebackenes Fladenbrot, Frischkäse und Oliven, Ruccola, Joghurtsauce mit Gurken und Zwiebeln und vielerlei Kuchen. Ein Festschmaus.

Mir ist festlich zumute, wie schon lange nicht mehr. Es ist, als ob etwas Spezielles in der Luft läge. Hurghada wimmelt von Menschen aus dem ganzen Land, sie werden in fahruntüchtigen Bussen und in klapprigen Peugeots herangekarrt, sausen in funkelnden Mercedes und BMWs herbei und wollen alle dasselbe: den Frühling geniessen, weg von Lärm und Hektik der Städte und fern der Alltagssorgen – und bringen dabei einen Teil davon mit. An Tagen wie diesen meide ich mir zuliebe die Stadt und die Geschäfte.


Frühling ist meine liebste Jahreszeit und dieses Jahr vermisse ich das Erwachen der Natur mit all ihrer Blütenpracht, dem Zwitschern der Vögel und dem Geruch der Wiesen an einem sonnigen Tag. Wohl deshalb habe ich mir neulich ein paar Pflanzen gekauft und heute ein Frühlingskleid angezogen. Ich spür den Frühling, es ist Sham El Nessim.



Donnerstag, April 09, 2015

Ganz normaler Tag

Immer wieder werde ich von Freunden und Bekannten gefragt, was ich denn so mache. Heute war mal wieder so ein richtig typischer Hurghada-Tag und ich erzähle:

Zum Frühstück lese ich die Nachrichten online – andere habe ich ja nicht. Doch heute musste ich zuerst das Guthaben für die Internetverbindung aufladen; dafür habe ich gestern Abend extra noch Kärtchen gekauft. Nach dem Aufladen bekam ich aber noch immer keine Internetverbindung und ich versuchte, den Kundenservice über eine gebührenpflichtige Kurznummer anzurufen und … fand mich nach mehreren Versuchen jeweils in einer arabischen Werbe-Endlos-Schlaufe.

Gleichzeitig nahm der Sandsturm an Intensität zu und die Bohrmaschine im Haus setzte noch einen oben drauf. Der Lärm war Ohren betäubend, die Atmosphäre zum davon Laufen.

Der Tag war wirklich toll gestartet. Ich setzte mich ins Auto, um ins Stadtzentrum zum Mobilfunkanbieter zu fahren. Welch ein Glück, bei dem Sturm nicht am Strassenrand auf einen Bus warten zu müssen! [sic!] Im Mobilfunk-Geschäft wurde mir nach ein paar Klicks auf dem Bildschirm erklärt (wusste sie das nicht sofort?), dass der Provider allgemein nicht funktioniere – nicht nur bei mir. Die Dame würde mich anrufen, wenn Internetverbindungen wieder aufgebaut werden könnten. Schön.

Da ich sowieso grad in der Stimmung für Unannehmlichkeiten, Wartereien und Bürokratie war, fuhr ich zu meiner Bank. Die wollte Unterlagen von mir, um das Dossier über mich auf den neuesten Stand zu bringen. Die Sichtweite auf der Strasse war teilweise wegen den Sandverwehungen stark eingeschränkt und herumwirbelnde Plastiksäcke und Kartone kämpften im Wind. In der Bank dann bekam ich meine Dummheit zu spüren: erstens war es da drin eisig kalt – gefühlte 18 Grad; im Sommer nehme ich meist einen Schal mit, um mich zu schützen, was ich völlig vergessen habe, weil ja noch gar nicht Sommer ist – und es war der letzte Arbeitstag vor einem langen Wochenende (Wochenende, koptische Ostern und das Frühlingsfest). Zerknirscht setzte ich mich zu den Wartenden und tat dasselbe wie sie: warten. Zwischendurch studierte ich die anderen Wartenden und stellte Hypothesen bezüglich Physiognomie und Anteil von Fettleibigkeit der ägyptischen Bevölkerung auf. Sofort verurteilte ich meine Gedanken wieder und versuchte mich anderweitig zu beschäftigen. Da kam ein Araber – damit meine ich einen vom Golf oder einen Saudi – mit Gefolgschaft herein. Der musste nicht warten, sondern durfte schnurstracks an den Schalter und zog kurz darauf mit mehreren Plastiksäcken (voller Geld?) mitsamt seinem Gefolge wieder von dannen.
Also ich wartete weiter in meiner Ecke, die mich aber nicht von der eisigen Klimaanlage verschonte. 

Nach genau 55 Minuten war ich endlich dran. Die Dame vom Kundenservice bat mich aber… was wohl?...  erneut zu warten und verschwand wieder. Nach weiteren fünf Minuten kam ein anderer Banker und bat mich, bei ihm Platz zu nehmen. Der widmete sich meinem Mietvertrag und meiner Quittung für Wasser und Strom; ersterer ist mit vielen Stempelchen und Unterschriften übersät und inzwischen ein imposantes Dokument geworden. Beides sind Beweise, dass ich hier lebe. Das dauerte insgesamt eine weitere Stunde. Danach war ich erlöst und entlassen. Unglaublich!

Was tun? Wasser und Milch kaufen und heimfahren, dann kann ich danach noch etwas arbeiten. Da kam aber ein Anruf meines Bekannten, den ich heute zu einer Besprechung treffen wollte. Er war früher frei als geplant. Also schnell heim, die Milch in den Kühlschrank legen und wieder zurück in die Stadt. In einem Gartencafé am Meer haben wir uns üppig mit Sand berieseln lassen und diskutiert. Auf meiner Haut lag ein Sandfilm… auf unserem Tischchen einiges mehr. Meine Handtasche wischte ich alle paar Minuten ab…. Okay, ja, ich weiss, es ist sinnlos. Der Sandsturm dauert noch bis übermorgen Mittag…

Endlich fuhr ich heim, um meine kleine Schülerin zu unterrichten. Schliesslich kam auch der Anruf aus dem Mobilfunk-Geschäft – einige Stunden verzögert zwar, aber immerhin. Danach in den Arabisch-Unterricht, der ausnahmsweise wieder zwei Stunden dauerte, weil wir über die Politik im Mittleren Osten im Allgemeinen und die Einmischung Ägyptens in Jemen im Speziellen diskutierten. Heimgefahren bin ich dann mit frischer Erdbeermarmelade und einer Einladung für das Frühlingsfest am kommenden Montag.

Um halb Zehn hatte ich den ganzen Sand des Tages abgespült und mir ein kleines Abendbrot gerichtet.

Das war ein sehr typischer Tag: alles kam völlig anders als ich geplant hatte. Ich hoffe, morgen läuft das wieder besser! Also bitte, fragt mich nicht mehr, was ich hier denn so mache - manchmal weiss ich es selber nicht mehr so genau ;).

Donnerstag, April 02, 2015

Visa-Regelung auf ägyptisch

Mitte März ging ein Aufschrei durch Ägypten, ausgestossen von den Vertretern der Tourismus-Branche und von Touristen gleichermassen. Ägypten wollte den Erhalt des Einreisevisums neu regeln: nur noch Gruppenreisende sollten ab Mitte Mai ein Visum bei Ankunft am Flughafen erhalten. Einzelreisende sollten ihr Visum vor Abreise PERSÖNLICH bei der Ägyptischen Botschaft im Land ihres Wohnsitzes einholen.

Reisewillige hätten also stundenlange Fahrten auf sich nehmen, möglicherweise sogar einen freien Tag einsetzen und teurere Gebühren bezahlen sollen, um mit einem schon Wochen im Voraus gebuchten Flug nach Ägypten zu fliegen. Kurzfristige Flüge wären somit Vergangenheit gewesen. Wer macht das schon? Richtig: niemand – dann lieber woanders hinfliegen.

Ägypten braucht Touristen, um die vielen Arbeitssuchenden zu beschäftigen und dringend nötige Devisen ins Land zu holen, um damit wiederum Importgüter zu bezahlen. Das Tourismusministerium bemüht sich, den Tourismus anzukurbeln – was mit dieser Visa-Regelung ziemlich unvereinbar ist. Denn: der Pauschaltourist (billig, billiger, am billigsten) gibt beileibe nicht so viel aus wie der Einzelreisende und wird vom ägyptischen Staat subventioniert (!).

Unglaublich hört es sich an, aber wahr ist: nicht das Tourismusministerium, sondern das Aussenministerium hat diese Visa-Regelung erfunden. Ganz allein, ohne mit dem Tourismusministerium Rücksprache zu halten. Die Idee: das Land vor potentiellen Terroristen zu schützen. Genau, ich wusste nämlich auch nicht, dass Terroristen per Visum von Europa nach Ägypten einreisen! Die selbst gezüchteten Terroristen im eigenen Land scheinen eine untergeordnete Rolle zu spielen oder sind vom Aussenministerium einfach vergessen worden. Der ägyptischen Logik zufolge kümmert sich um letztere nämlich das Innenministerium.

Und es geht noch weiter…

Einige Ägypter fanden es nur gerecht, dass Europäer endlich auch mehr für ein Visum zur Einreise in ihr Land bezahlen sollten und das Wochen vor Reiseantritt beantragen müssten – und vergassen dabei, dass Europa und die USA nicht auf ägyptische Touristen angewiesen sind, geschweige denn vom Tourismus abhängig sind.

Soweit zur Logik dieser Geschichte, die mit der üblichen (westlichen?) Logik nicht verwandt ist.

Natürlich gibt es Einzelreisende, die ihre Ferien in Ägypten buchen wollten – und inzwischen woanders ihre schönste Zeit des Jahres verbringen werden. Zu viele Gerüchte, zu unklar die Regelung, zu ungewiss die Umsetzung - der Schaden ist angerichtet.

Da ich schon ähnliche Ankündigungen miterlebt habe, dachte ich, warten wir’s mal ab. In Ägypten wird die Suppe auch nicht so heiss gegessen, wie sie gekocht wird.

Vor einer Woche trafen sich also einige Minister, um dieses unglückliche Thema miteinander zu besprechen. Es hiess danach, der Tourismusminister sei grundsätzlich mit der neuen Regelung einverstanden. Hä? „Grundsätzlich“ – das ist ein sehr elastischer Begriff.

Und siehe da: heute ist überall zu lesen, dass die Umsetzung dieser Regelung verschoben wird, bis ein elektronisches Visa-System einsatzbereit ist. Das heisst so was Ähnliches wie „grundsätzlich“.

So läuft das hier. Einer macht einen Schnellschuss - viele stöhnen auf - der Schnellschuss wird zurück gepfiffen - dann wird vergessen.

Mühsam ist es einfach für all diejenigen, die planen möchten. So, wie der ägyptische Staat funktioniert, kann man eben nicht planen, sondern man muss dauernd re-agieren und sich ganz schnell auf lauter Überraschungen gefasst machen. Und das tagtäglich!

Nun ja, nach vielen Kommentaren und Diskussionen, erhitzten Gemütern und Wirren sind wir nun wieder dort, wo wir bis Mitte März waren :).


Sonntag, März 22, 2015

Handwerkskunst von Frauen

Als ich im Januar in Luxor war, habe ich auch das Zentrum für Handwerkskunst von Frauen besucht. Das „Urban Center for Women“ liegt etwa zehn Minuten zu Fuss vom Karnak-Tempel entfernt. Das Zentrum ist in einem freundlichen, lichtdurchfluteten Gebäude mit Innenhof untergebracht. Rund um den Innenhof liegen auf drei Stockwerken verteilt die Handwerks-Abteilungen. In insgesamt elf Abteilungen werden wunderschöne Kunstwerke liebevoll und mit viel Geduld hergestellt. Produkte sind gewobene und geknüpfte Teppiche aus Wolle oder Seide, Fleckenteppiche, Schals, Quilts und Stickereien, Sonnenhüte und Taschen aus geflochtenen Palmblättern, ziselierte Kupferteller, Lederwaren und Töpferwaren.

Die 95 meist jungen Frauen arbeiten hier für einen Hungerlohn von 200 ägyptischen Pfund pro Monat (!) (umgerechnet ca. 22 Euro). Der Manager, Herr Mansour, führt Besucher gerne durch die Arbeits- und Ausstellungsräume. Er hat mir erklärt, dass er versucht, bei internationalen Anlässen mit den Kunstwerken präsent zu sein. Genau so bin ich nämlich auf das Zentrum aufmerksam geworden: am Luxor Egyptian & European Filmfestival waren einige Arbeiten ausgestellt. Das im März stattfindende Luxor African Filmfestival hat z.B. Stofftaschen mit Stickereien bestellt. Auch an grossen internationalen Konferenzen stellt das Zentrum aus. Doch all das reicht noch nicht aus, um den Frauen einen besseren Lohn bezahlen zu können.

Trotzdem fand ich nur gut gelaunte Frauen bei der Arbeit. Sie liessen mich gerne beim Flechten von Palmwedeln oder beim Teppich knüpfen zusehen und gaben bereitwillig Auskunft. Die Teppichknüpferin, ein junges Mädchen, arbeitet sechs Stunden täglich an ihrem Teppich. Eine andere erklärte mir, dass sie das Design selbst wählt und ein Webbild aufgrund eines Bildes oder Fotos erschafft.

Leider werden solche Projekte nicht ins Programm für Massentourismus genommen. Deshalb bitte ich jeden Individual-Touristen, dieses Zentrum zu besuchen. Es lohnt sich bestimmt!

Nachfolgend sind einige Bilder dieser eindrücklichen Arbeiten:

El Markaz el handary el emra - Firmenlogo aus Quilt

Palmblätter werden geflochten

Die Frauen arbeiten immer in Gruppen

Taschen aus Palmblättern

Sonnenhüte aus Palmblättern

Arbeit am Kupferteller

Teppich knüpfen

Das Zentrum von Innen

Ton in Bearbeitung

Töpferwaren

Webteppich

Webbild


ziselierter Kupferteller
die Inschrift lautet "25. Januar - Brot - Freiheit - Gerechtigkeit"

Nubische Tracht

typische Landschaftsszene am Nil in Oberägypten - gewoben

Szene aus Zeiten der Pharaonen - ein Bild aus Quilt

Bild aus Quilt

Donnerstag, März 05, 2015

Ein Fünkchen Hoffnung

Es geht hier wieder um Politik – nach langer Enthaltsamkeit. 
Heute hat Präsident El Sisi überraschend acht neue Minister eingeschworen. Es betrifft jene des Innenministeriums, Tourismus, Bildung, Ackerbau und Landwirtschaft, Kultur, Kommunikation und Information, Bevölkerung sowie Technische Bildung und Ausbildung. Die letzten beiden sind neu gebildete Ministerien.

Was aber überrascht und Hoffnung macht, ist die Tatsache, dass der Innenminister Ibrahim wegbefördert wurde (zum Berater des Premierministers). Der Mann ist verhasst, er ist für das eiserne Vorgehen gegenüber Demonstranten und Aktivisten und die überbordende Brutalität seitens der Polizei verantwortlich. Er wird auch für die angeblichen Morde an friedlichen Aktivisten – das letzte Opfer war Shaimaa Sabbagh, welche einen Trauerkranz ablegen wollte - beschuldigt. Mag auch sein, dass er in der momentanen Situation, wo ständig irgendwo Bomben gelegt werden, überfordert ist. Mag auch sein, dass es sich um ein „öffentliches Sesselrücken“ handelt, um ein Zeichen kurz vor dem Investitions-Gipfel kommende Woche zu setzen. An dem Anlass in Sharm El-Sheik sollen um die 60 Länder teilnehmen.

Ich habe ein Fünkchen Hoffnung, weil dieser Mann Schuld an unsinniger Brutalität gegen Menschen hat. Weil er offenbar nicht fähig war, das oft stümperhafte Vorgehen der Polizei im Umgang mit den Bomben, Bombenlegern und Bombenbastlern durch fachmännisches Training zu eliminieren; stattdessen wurden wahllos Unbeteiligte festgenommen. Jetzt ist der Typ weg. Sein Nachfolger kann es gar nicht mehr schlechter machen.

Und ich habe noch ein Fünkchen Hoffnung, weil auch der Tourismusminister ausgewechselt wird. Offenbar hatte der keine Ahnung von seinem Glück, denn seine heutigen Termine an der ITB in Berlin wurden kurzfristig abgesagt. Hoffentlich nimmt der neue Minister die wahren Probleme der Touristendestination in die Hand: Korruption, Abfall, Belästigungen, schlechter Service, fehlende Fremdsprachenkenntnisse, fehlendes Verständnis für das Verhalten und die Bedürfnisse der Ausländer, Qualität statt Quantität und die Liste lässt sich erweitern. Ägypten hat unendlich viele Schönheiten zu bieten – aber die lassen sich ob den vielen negativen Punkten gar nicht in Ruhe geniessen.

Heute habe ich erstmals seit langer Zeit wieder ein Fünkchen Hoffnung für Ägypten.

Nachtrag:
Also die Hoffnung auf eine menschlichere Polizei hat sich inzwischen in Luft aufgelöst. Der neu ernannte Minister Magdy Abd El Ghafar ist ein altes Gesicht der Staatssicherheitspolizei. Die Respektieren der Menschenrechte werden weiterhin ein Papiertieger bleiben; Gerechtigkeit ein Wunschtraum.


Samstag, Februar 07, 2015

Luxor aus anderem Blickwinkel

Zum dritten Mal schon fand das Luxor Egyptian & European Filmfestival statt. Endlich hatte ich die Gelegenheit, nach Luxor zu fahren, um mir Filme anzusehen. Ich liebe Kino, ich liebe Arthouse Filme; nicht diese Kassenknüller, sondern besondere, ausgefallene, stille Filme, welche Momente einfangen und diese subtil erzählen. Filme, die durch ihre Authentizität berühren.

Ich bin voll auf meine Rechnung gekommen. An drei verschiedenen Standorten wurden die Filme gezeigt. Jene, die ich mir ausgesucht habe, waren sehr schwach besucht: 10-20 Zuseher waren jeweils da. Einzig die ägyptischen Filme brachten den Saal voll; ich sah „Katz und Maus“ und musste – obwohl der Film in Arabisch und ohne Untertitel war, Tränen lachen. „ Sea Shadow“, aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hat mir am besten gefallen. „Der Mann von Oran“, ein algerischer Film, hat mich auch sehr berührt. „Leviathan“ konnte ich nicht zu Ende sehen – ich wusste, wie der Film ausging – er erinnerte mich zu sehr an die Realität in Ägypten. Technisch beeindruckt hat mich der restaurierte Film „Das Weib des Pharaos“; ein Stummfilm von Ernst Lubitsch, der aus mehreren Teilen in jahrelanger Arbeit rekonstruiert worden war.

Als Ausländerin im eigenen Auto unterwegs
Die Fahrt nach Luxor im eigenen Auto habe ich genossen wie eine Prinzessin. Endlich nicht mehr in einem Bus sitzen müssen und nicht mehr wissen, wohin mit den Beinen, nicht wissen, wie die natürlichsten Bedürfnisse befriedigen, nicht wissen, wann man denn endlich am Ziel ankommt. Und dort dann, wenn man endlich da ist, von den Taxifahrern und Kutschern und anderen Typen wie ein Kuhfladen von Fliegen befallen werden, um seine Pfundnoten schneller loszuwerden, als einem lieb ist. Irgendwie die Fliegen abwimmeln und davon laufen…. So war es bisher.

Natürlich war meine An- und Rückreise nicht ganz einfach. Die Strecke führt durch die Berge und die Wüste. Es gibt Check-points, einige gefährliche Löcher und noch gefährlichere Fahrer. Und es gibt Varianten. Seit ein paar Jahren kann man statt dem Nil entlang und durch alle Dörflein über eine gut ausgebaute Wüstenstrasse wenige Kilometer weiter im Hinterland nach Luxor fahren. Doch der Polizist am Check-point wollte mich zuerst nicht durchlassen; es gebe auf der Strecke keine Check-points (umso besser!), es gäbe keine Sicherheit und die Strasse wäre gefährlich (gefährlicher als durch die Dörfer, wo sich ständig Minibusse, Eselkarren, Radfahrer, Fussgänger, Busse, Lastwagen und Autos durchdrängen?). Zum Glück liess er mich dann durch; die folgenden 90 km spulte ich sorglos ab, denn die Strasse war wenig befahren und einwandfrei – und verlief durch imposante Wüstenlandschaft mit ein paar grünen Kulturflächen.

Auf dem Rückweg wollte ich der Westbank entlang, da wurde ich aber zurück gepfiffen. Allerdings verstehe ich nicht, weshalb Ägypter weniger gefährdet sein sollen, als ich. Also nahm ich wieder die Wüsten-Strecke – von dieser Seite her hielt mich niemand mehr auf und ich raste zurück nach Hurghada. In Hurghada schaut auch niemand mehr, wenn eine Ausländerin ein Auto fährt.

Als AusländerIN (!) in Luxor
Am meisten Sorgen hat mir dieser Teil gemacht, denn ich ertrage die ständigen Belästigungen der Wort-Wegelagerer einfach nicht mehr. Ich kämpfe für mein Recht, in Ruhe und ohne Belästigung herumspazieren zu können – oder ich vermeide die Zone. Aus diesem Grund habe ich mir ein sehr hübsches, kleines Hotel auf der Westbank ausgesucht und wurde belohnt. Neu, sauber, liebevolle und aufmerksame Betreuung durch die Inhaberfamilie und für bescheidenere Budgets. Das Hotel liegt ca. zehn Minuten von der Fähranlegestelle, etwas versteckt und ruhig.

Das war das Positive.

Das Negative: auf Schritt und Tritt hörte ich alle möglichen Begrüssungen und wurde Hundert Mal gefragt, ob ich ein Taxi, einen Bus, eine Kutsche, ein Toktok, ein Motorboot oder sonst was suche/brauche/möchte. Ich fing an, meinem aufgestauten Frust Luft zu machen, indem ich Kinder, Jugendliche und Erwachsene aufklärte, dass ich nicht alle zehn Meter jeden Tag seit sieben Jahren „Hello Madame“, „Good morning“ und wer weiss was noch hören möchte. Ich erklärte ihnen, dass sie kein Recht hätten, uns (Frauen, Ausländer) ständig anzuquatschen. Ich erklärte ihnen, dass sie uns vertrieben und so kein Tourist mehr Lust habe, nach Luxor zu kommen (tatsächlich hat Luxor katastrophal schlechte Kriterien i.S. Belästigungen). Ich sagte ihnen, dass wir die Schnauze voll hätten, von ihren Anpöbeleien, ihren Anbiederungen und ihrer geheuchelten Freundlichkeit. Sogar zweijährige Kinder rufen „Hello“ und ein Fünfjähriger rief „Taxi Madame“ und zeigte auf den Sattel seines Kindervelos!!!! Ich frage mich, welches Beispiel da die Erwachsenen abgeben. Wir (Ausländer) werden wohl nur als Geldbeutel auf zwei Beinen betrachtet.

Selbst unter den einheimischen Reiseführern ist Luxor deswegen verhasst. Es hat einen äusserst miserablen Ruf und in den paar Tagen, während denen ich in Luxor war, habe ich (in der Öffentlichkeit) nur ganz wenige Menschen getroffen, die mir respektvoll gegenüber traten. Das Stadtzentrum und den Souq habe ich vermieden – meine Nerven reichten trotz guten Willens nicht mehr aus. Denn schon am zweiten Tag versetzte ich einem Jüngling einen Kinnhaken (ja, leider, und das ist nicht lustig, auch wenn es sich so liest!) und am dritten rief ich lauthals nach der Polizei. Ich wurde weder angegriffen, noch bestohlen, sondern: verbal belästigt. Aber auf eine Art und Weise, dass ich eine Anzeige machte. Selbst das Zauberwort (in Arabisch „respektiere dich bitte“) wirkte nicht mehr. Wenigstens für ein paar Stunden oder ein paar Tage werden die Profi- Belästiger den Mund gehalten haben – mehrere Dutzend Männer waren Zeugen.

Luxor, eine historische Schatztruhe
Schade. Schade um diesen wunderbaren, einzigartigen Ort, wo die grössten und berühmtesten Tempel und Gräber der Pharaonen liegen; wo einmalige historische Schätze noch immer unentdeckt und unerforscht unter dem konservierenden Sand der Sahara liegen. Luxor ist leer, die historischen Denkmäler werden wenig besucht. Die Leute verhungern fast. Viele wissen schon lange nicht mehr, wie über die Runden kommen. Der Tourismus hat sich in den vergangenen vier Jahren nur wenig erholt. Und nur ganz wenige profitieren von dem verbliebenen Rest. Die Preise sind tief gefallen. Viele Juwelier- und Souvenirgeschäfte sind verstaubt und verriegelt. Restaurants, welche die Gäste ganzer Reisebus-Gesellschaften verpflegten, sind geschlossen. Einmal speiste ich in einem sehr bekannten Restaurant – ich und noch zwei Touristen waren die einzigen Gäste; einmal ass ich auf einer Dachterrasse mit Blick zum Hatschepsut-Tempel westwärts und Luxor ostwärts – und war alleine. Himmeltraurig ist das.

Umso mehr lohnt es sich für unerschrockene und aufgeschlossene Reisende, sich diese aussergewöhnlichen Raritäten jetzt anzusehen. Ich habe extra noch einen Tag angehängt, um mir einige weniger oft besuchte Gräber auf der Westbank anzusehen (und am Abend zwei weitere Filme anzugucken!). Und siehe da: mit Ausnahme eines jungen Kerls waren die Grabwächter äusserst freundlich, respektvoll und geduldig. Ich bestaunte in aller Ruhe die über Dreitausend Jahre alten Hieroglyphen und Malereien, durfte eine Minute ganz allein in der Grabkammer stehen bleiben, um in Stille zu „fühlen“…

Die Landschaft am Nil, dem Grünstreifen Kulturland, den golden schimmernden Bergen mit ihren Tempeln und Gräbern und dem blauen Himmel darüber fasziniert mich ewig… und sie bleibt wohl ewig, denn es ist dieselbe Landschaft wie auf den Grabmalereien. Nichts hat sich verändert, „wir sind Pharaonen, wir haben uns in dreitausend Jahren nicht verändert“, sagt mir mein Gesprächspartner später. Das scheint wohl so zu stimmen – ob zum Vorteil oder zum Nachteil, lassen wir jetzt offen.

Im März findet ein weiteres Filmfestival, das African Filmfestival, statt. Ob ich wohl nochmals hinfahren soll? Einfach so, ganz schnell mal?

Motorboote an der Westbank

Diir El-Medina

Nekropolen der Edelleute

wer erkennt es nicht?



Montag, Februar 02, 2015

Redsea Mountains im Winter

Es war sehr kalt. Es stürmte. Eine ausgefallene Gelegenheit, in die Redsea Mountains zu fahren. Ich durfte mich einer Gruppe anschliessen.

Robby führte uns zu einer kleinen versteckten Oase und ich machte mich auf und davon. Ich lief über Geröll und Felsen hinauf, hinüber, weg… weg von den Menschen, hinaus in die Einsamkeit und Ruhe. Absolut still war es zwar nicht, denn der Wind pfiff mir um die Ohren, tanzte über die Felsen und wirbelte den Sand auf. Nicht Sandsturm, nein, aber recht stürmisch.

Bei meiner Rückkehr zur Oase wurde ich in die Wirklichkeit zurückgeholt: die anderen hatten Hunger! So machten wir uns auf, einen halbwegs geschützten Platz für ein Barbecue zu finden. Ein Barbecue im Sturmwind? Robby hat das Unmögliche möglich gemacht. Der Sonnenuntergang danach fand nicht statt, Berge, Himmel und Wüste verschwammen in einem undefinierbaren Grau. Und weil wir viel zu spät gestartet waren (die anderen wollten das so), lag es zeitlich auch nicht mehr drin, den Sternenhimmel abseits der Lichtverschmutzung zu bewundern – wir mussten raus aus der Wüste.

Die folgenden zweieinhalb Stunden werde ich nicht mehr vergessen: die zwei Scheinwerfer von Robbys Jeep strahlten in die dunkle Nacht hinaus, auf Fahrspuren, dessen Sandkörner der Sturm schon wieder durcheinander gebracht hatte. Wir kreuzten Pisten, erahnten Bergsilhouetten, entdeckten einen verlorenen Stern. Was wohl in den Köpfen meiner Mitfahrer vorging? Zweifel? Angst? Keine Ahnung… ich hatte Vertrauen in Robby. Und tatsächlich: im gleichen Moment als ich eine mir bekannte Felswand im Halbdunkel ausmachen konnte, fragte mich Robby, ob ich wüsste, wo wir seien! Eine fantastische Leistung; der Mann kennt sich aus in „seiner“ Wüste.
Ich hoffe, ich hab bald wieder Gelegenheit…

Hier sind einige Eindrücke:




Friedhof der Beduinen





cleveres Mäuschen