Freitag, Dezember 13, 2013

Schnee in Ägypten

Unglaubliche Bilder, unglaubliches Wetter! Es kommt vor, dass es im Winter auf dem Sinai schneit, die Berge reichen da auf 2'600 m ü.M. - aber in Kairo und Alexandria? Hier sind einige Bilder, alle von Facebook geklaut:



St. Catherin auf dem Sinai

Kairo

Alexandria

Alexandria
Und bei mir in Hurghada wechselt sich die Sonne mit Sandsturm ab - es ist saukalt. 

Einer meiner Freunde meinte: "Gott bestraft uns wohl...". Ich denke hingegen an all die Strassenkinder, an all die Menschen, die in dieser Weltgegend in behelfsmässigen Hütten und in Rohbauten hausen: viele werden in dieser Kälte erfrieren. 

Auf unserem Planeten läuft schon ziemlich vieles schief :( .

Herzerwärmend

Für all jene, die in dieser Jahreszeit etwas Wärme brauchen:


Mittwoch, Dezember 11, 2013

Kälte

Über's Wetter schreiben ist eigentlich banal. Nur grad momentan macht das Wetter hier in Hurghada (in ganz Ägypten und im östlichen Mittelmeerraum) Kapriolen. In Istanbul lag gestern Schnee.

Der ganze November war herrlich warm, 30 Grad oder mehr haben uns verwöhnt, und meistens war es windstill. Letze Woche tummelte ich mich noch schwimmend im Meer. Vorgestern ist aber der Winter eingekehrt: Temperatursturz und Stürme. In Alexandria an der Mittelmeerküste regnet es aus Kübeln, die Tagestemperaturen liegen noch bei kühlen 10 Grad. 

Hier in Hurghada stürmt es mit über 50 km in der Stunde und die Temperaturen fallen und fallen: morgen sind noch 16 Grad Höchsttemperatur angesagt, in der Nacht 8 Grad! Das liegt deutlich unter den sonst für den Dezember üblichen 24 Grad und weit entfernt von meinen Erinnerungen an bisherige Winter. Es fühlt sich schlichtweg saukalt an. Der Wind hat die dicken, bedrohlichen Wolken am nördlichen Horizont gnadenlos zerzaust und das tut gut: die Sonne scheint, trotz allem.

Montag, Dezember 09, 2013

Alltag – wie er nicht sein sollte

Manchmal glaube ich, ich werde wahnsinnig! Kleine Dinge, die zum Alltag gehören, werden in Ägypten zu riesigen, oft unlösbaren Problemen. Deshalb lasse ich manche Dinge einfach sein, wie sie sind: ein Schalter ist kaputt, der Verputz blättert ab, nur zwei der vier Herdplatten funktionieren und so weiter. Am besten ist es: nicht berühren, Niemanden zur Reparatur kommen lassen, solange etwas noch halbwegs funktioniert.

Manchmal muss ich aber eine Lösung suchen und wie das hier so abläuft, erzähle ich heute.

Moskitotüre
Alle Balkontüren sind mit schiebbaren Moskitotüren ausgestattet. Das Moskitonetz an der Küchentüre hatte schon Löcher, als ich einzog. Macht nichts, ich habe einen ausrangierten Stoffsocken darüber genäht – der hatte genau die Form des Lochs! Das sah zwar nicht schön aus, aber es hielt die Stechmücken davon ab, hereinzuschlüpfen. Im Laufe des Sommers konnte ich die Türe nicht mehr aufschieben, d.h., die Rädchen blockierten. Öl nützte nichts; ich brauchte einen Handwerker, der die auswechseln kann. Ich wandte mich an den Verwalter der Anlage und er versprach, jemanden zu schicken, das werde aber einige Zeit dauern. Ich stellte mich darauf ein und trug Wäsche, Frühstück, Laptop und alles andere durchs Wohnzimmer hinaus auf den Balkon.

Nach zwei Wochen erhielt ich Bescheid, dass heute der „Techniker“ da sei und zu mir kommen werde. Der kam, sah und versprach, in vier Tagen einen Handwerker zu schicken. Die vier Tage verstrichen und noch weitere 10 Tage obendrein. Ich wandte mich wieder an unseren Verwalter, der wiederum mit dem „Techniker“ sprach. Es komme jemand um 11 Uhr. Bis um 15 Uhr tauchte niemand auf und ich musste aus dem Haus. Vereinbarungsgemäss übergab ich die Moskitotüre dem Sicherheitsmann am Gate, damit die Leute die Türe in meiner Abwesenheit reparieren könnten. Als ich am Abend zurückkam, war das Moskitonetz ausgewechselt (wie schön!), ich stellte die Türe wieder auf die Schiene – doch sie liess sich noch immer nicht schieben. Die Handwerker hatten nur halbe Arbeit geleistet.

Einmal mehr ging ich zum Verwalter ins Büro und er rief den „Techniker“ erneut an. Der Versprach wieder, dass anderntags jemand um 11 Uhr kommen werde. Sie kamen tatsächlich und leisteten gute Arbeit. Meine Freude jedoch hielt sich in Grenzen – ich hatte vier oder fünf Wochen gewartet, musste unzählige Male den Verwalter bemühen und dieser wiederum rief den Geschäftsinhaber unzählige Male an.

Bank
Ich habe ein Schweizer Franken Konto bei einer internationalen Bank in Ägypten. Wegen den Wechselkursschwankungen aufgrund der politischen Unruhen wechsle ich Geld nur bei Bedarf. Ich schrieb dem Kundenservice der Bank vor langer Zeit und bat, genügend Schweizer Franken in bar bereit zu halten, damit ich Geld abheben könne, wann immer ich wolle. Mit demselben Wunsch gelangte ich an meine Filiale; dort hiess es allerdings, ich müsse in eine andere Filiale gehen (die ist weiter weg und dort wartet der Kunde i.d.R. 45 Minuten, bis er endlich bedient wird). 

Als ich eines Tages Franken abholen wollte, hiess es, sie hätten ein Problem. Ich kannte das Problem dank einer meiner Studenten, der dort am Schalter arbeitet und den ich am Vorabend um Hilfe gebeten hatte. Das Problem: die Bank hatte nur zwei Noten zu Tausend Franken in bar! Ich wollte aber keine Tausend, sondern nur zweihundert Franken. Ich wurde gebeten, in zwei Tagen wieder zu kommen, dann wäre das Geld parat!

Innerlich explodierte ich fast. Ruhig, aber bestimmt verlangte ich, dass man mir heute mein Geld gebe und es an der Bank liege, eine Lösung zu finden. Ich hätte sie mehrmals darauf hingewiesen; ansonsten würde ich mein Konto schliessen lassen. – Dabei wäre das gar nicht möglich gewesen – sie hatten die Summe gar nicht vor Ort. Nach einer Wartezeit von einer halben Stunde wurde mir mitgeteilt, ich solle doch bitte nach sechs Stunden nochmals kommen, bis dahin hätten sie die Geldscheine.

Das klappte dann auch. Sie mussten diese von El Gouna kommen lassen! Die Wartezeit von zwei Tagen hätte bedeutet, dass das Bargeld von Kairo hertransportiert wird. Dabei haben die Nationalbank und Wechselstuben massenweise Schweizer Franken, die sie täglich in Pfund umtauschen!

Neulich war ich wieder bei „meiner“ Filiale und der Cashmanager teilte mir lächelnd mit, dass sie auch hier genügend Schweizer Franken in bar hätten. Nur für mich – ich sei die einzige Kunden in Hurghada mit einem Schweizer Franken Konto! Welche Rarität!

Ersatzbeutel für Staubsauger
Was für eine Geschichte! Ich warne: sie hat kein Happy end, sie hat überhaupt kein Ende und ich weiss nicht mehr, ob ich lachen oder heulen soll!

Ich will eigentlich nur diesen blöden Staubsauger-Beutel austauschen, weil der jetzige vom vielen herausnehmen und leeren beinahe auseinander fällt. Doch
  • Im Geschäft, wo der Staubsauger gekauft wurde, gibt es kein Zubehör.
  • In besagtem Geschäft nannte man mir den Namen eines Ladens, der Staubsauger-Beutel verkauft. Allerdings war die Adresse falsch und ich suchte vergebens. Und im Geschäft mit dem richtigen Namen und anderer Adresse gibt es diese Marke nicht.
  • Ich habe im Internet gesucht und bin auf den türkischen Hersteller gestossen. Dieser verwies mich an den Importeur in Kairo.
  • Der versprach, mir einen Staubsauger-Beutel per Kurier zu senden(!!!). Die Speditionsquittung schickte er mir per Email. Ich druckte sie aus und suchte mithilfe eines Taxifahrers das Geschäft. Um 11 Uhr früh war es geschlossen und auf meine Telefonanrufe antwortete niemand. Um 15 Uhr stand ich nochmals dort: gleiches Ergebnis.
  • Ich rief den Importeur in Kairo an, der versprach, die Spedition anzurufen. Ich hörte stundenlang nichts mehr, rief wieder an und er sagte, er sei am Prüfen. Per Email fragte ich erneut zwei Mal nach… er sei am Prüfen…
  • Ich schrieb erneut dem Herstller in der Türkei. Die entschuldigten sich höflich und versprachen, mir Ersatz per DHL (aus der Türkei!!!) zu schicken. Es könne aber einige Zeit dauern.
  • Heute Morgen kam der DHL Lieferdienst, ich nahm das Paket entgegen, bezahlte Steuern und Zoll, öffnete das Paket ganz aufgeregt – hej, ich suche seit einem halben Jahr nach diesen blöden Staubsauger-Beuteln! – und stelle fest, dass die Dinger zu gross sind! Falsche Artikel-Nummer, Fehler der Türken.
  • Eine Antwort auf mein heutiges Email habe ich noch nicht bekommen. Ich bin, ehrlich gesagt, am Ende.
Soll ich noch weitere Müsterchen aus dem ganz normalen Alltag erzählen, der sich hier oft zum völlig unglaublichen Wahnsinn zusammen ballt? Nicht mal das mag ich mehr. Wenn ich meinen ägyptischen Freunden davon erzähle, erfahre ich weitere unglaubliche Geschichten, die sich ein gesunder Menschenverstand gar nicht mehr ausdenken kann. Aber das ist eben Ägypten.

Geschrieben habe ich das alles innerhalb einer Stunde – doch jedes einzelne Problem, und sei es auch noch so winzig – zieht sich über Wochen und Monate dahin… In solchen Momenten frage ich mich allen Ernstes, weshalb ich mir das antue!


Mittwoch, November 27, 2013

Granatäpfel

Ägypten ist für mich in Sachen Obst ein Paradies. Während des ganzen Jahres gibt es Melonen und Bananen. Momentan kommen die ersten Erdbeeren auf den Markt, während es noch Feigen, Datteln, Mangos und Trauben gibt. Orangen sind nicht mehr grün und leicht sauer, sondern süsslich und orangefarben und Mandarinen liegen auch schon bereit. Und es gibt Granatäpfel.

Ich liebe diese rubinroten glitzernden Kerne, die wie rote Kristalle funkeln. Allerdings hatte ich bisher meine liebe Mühe damit, die süssen Kerne aus ihrer dicken Schale zu befreien: der rote Saft dekorierte die halbe Küche, mich inklusive.

Dabei gibt es eine ganz einfache Art, die Frucht zu öffnen, um an die Kerne zu gelangen. Schaut euch den folgenden Video an. Er ist zwar in Arabisch, aber trotzdem verständlich. Die Dame wiederholt immer wieder "zai el bortu'an", was heisst "wie die Orange". Viel Vergnügen beim Granatäpfel essen!


Dienstag, November 26, 2013

… und zurück zum Anfang

Demonstrationen gegen das Demonstrationsgesetz

Lange habe ich mich nicht mehr gemeldet, ich hatte zu tun und Ägypten war damit beschäftigt, den Muslimbrüdern den Garaus zu machen. Die sind jetzt hinter Gitter, im Ausland und mundtot, auch wenn noch da und dort Anschläge gegen Soldaten und Staatseinrichtungen erfolgen und Wehrpflichtige sterben.

Die Verfassungsänderungen geben zu diskutieren und gleichzeitig hat der Übergangspräsident ein Gesetz erlassen, welches das Recht auf Demonstrationen stark einschränkt. Ist das der Job eines Übergangspräsidenten: Gesetze zu erlassen, welche die Freiheiten noch weiter begrenzen?
In Diskussionen las ich: „Na und? Was ist daran so stossend? – Jedes westliche Land hat ein Demonstrationsgesetz“. Ok. Aber in Ägypten ist Demonstrieren die einzige Möglichkeit, den Mund gegen das Regime, gegen die Mächtigen und gegen Ungerechtigkeit aufzumachen. Die Stimme der Strasse hat Gewicht - auf anderem Weg (Antrag, Referendum Petition, Anklage usw. wie in den sogenannten demokratischen Staaten) läuft in diesem Land nichts – ausser, man hat die richtigen Beziehungen und viel Geld. Unter anderem verlangt das gestern erlassene Gesetz, dass Demonstrationen vom Innenministerium bewilligt werden müssen. Genau das Innenministerium ist aber für die meisten Missstände verantwortlich und Auslöser für Demonstrationen.

Logischerweise gab es heute gegen dieses neue Gesetz Demonstrationen – trotz Warnungen. Und nicht nur gegen dieses Gesetz, sondern auch gegen den Verfassungsartikel, der es ermöglicht, Zivilisten durch Militärgerichte aburteilen zu lassen. Ferner demonstrierten Aktivisten in Memorandum an Jika, den 17jährigen Aktivisten, der vor einem Jahr gezielt erschossen wurde. Alle Proteste verliefen friedlich, wohlgemerkt.

Die Polizei setzte jedoch Wasserwerfer und Tränengas ein, um sie zu vertreiben und nahm angeblich über 50 Demonstranten fest. Begründung: das Gesetz sei einzuhalten. Da kann ich mir die Frage nicht verkneifen: gibt es sonst noch irgendein Gesetz, das in Ägypten eingehalten wird??? So spontan fällt mir grad keines dazu ein. Das ist kein Witz, sondern traurige Tatsache.

Gegen das Vorgehen der Polizei – unschwer zu erraten – demonstrierten Hunderte von Menschen. Die Polizei reagierte umso brutaler und setzte nicht nur Tränengas ein, sondern schoss Schrotkugeln in die Demonstranten. Frauen wurden sexuelle belästigt, an den Haaren gezerrt und geschlagen. Männliche Demonstranten willkürlich geschlagen.

Aus Protest gegen die deplatzierte Gewalt der Polizei haben 10 Mitglieder des Verfassungskommitees ihre Arbeit niedergelegt und deren Vorsitzender hat den Innenminister aufgefordert, die festgenommenen Demonstranten umgehend wieder frei zu lassen.

Was heute geschehen ist, stellt für mich eine von vielen Wegmarkierungen auf dem holprigen Weg aus dem Dschungel von Korruption, Diktatur und Polizeigewalt in eine eigene Demokratie dar. Der Weg verläuft im Zickzack und jetzt grad wieder mit Riesenschritten rückwärts. Denn:

  • Die Ägypter gingen am 25.1.2011 wegen der Brutalität der Polizei auf die Strasse
  • Die Ägypter haben am 25.1.2011 Freiheit gefordert; Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit sind jetzt aber noch mehr eingeschränkt
  • Die Ägypter haben am 25.1.2011 Gerechtigkeit gefordert; die ist nun in weite Ferne gerückt.

Ist die Polizei blöd oder vergesslich? Glaubt das Innenministerium tatsächlich, sie könnten die Menschen mit Brutalität davon abhalten, auf die Strasse zu gehen und dort ihre Forderungen kundtun? Haben die da oben vergessen, dass die Menschen keine Angst mehr haben und umso zahlreicher auf die Strassen und Plätze stürmen, je brutaler die Polizei zuschlägt?

Ich begreife es nicht. Ich sehe nur, dass sich viele verschiedene Kräfte um die Macht in diesem Land streiten. Die Muslimbrüder sind jetzt aus dem Spiel. Wer steht sich jetzt gegenüber? Jene, um die es von Anfang an ging: das alte Regime und das Volk.

Fast wie im Spiel: die Karten sind neu gemischt, die verbleibenden Gegner sehen sich in die Augen: wer ist der Stärkere? Wie lange dauert der nächste Einsatz?

Mir graut und doch habe ich immer wieder Hoffnung, denn es könnte noch schlimmer sein: Ägypten ist nicht Syrien.


Montag, November 11, 2013

Hurghada – Marsa Alam mit dem Rennrad

Die Strecke von Hurghada nach El Quesir habe ich schon zwei Mal beschrieben (hier und hier). Im Oktober haben wir endlich eine Zwei-Tages-Fahrt nach Marsa Alam gemacht.

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Ich bin wach, noch bevor der Wecker läutet – ich habe schlecht geschlafen, wie immer, wenn ich früh aufstehen muss. Die Dämmerung kündigt sich an; schnell packe ich meine Kamera und reisse die Türe des Bungalows auf. In wenigen Schritten bin ich am Strand, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie sich ein gleissender Feuerball aus dem Meer erhebt und den Himmel vom fahlen Dämmerlicht in ein leuchtendes Knallrot übertüncht. Überwältigt stehe ich da, lausche dem leisen Wellenschlag und beobachte dieses Naturschauspiel. Kann ich davon je genug kriegen?


Doch es eilt, mein Kamerad will um sechs aufs Rad und ich gehe zurück, um mich zu waschen und Zähne zu putzen. Der Wasserhahn bleibt trocken – meinen die, man brauche in der Nacht kein Wasser? – und ich helfe mir mit dem verbliebenen Mineralwasser.


Kurz später stehe ich in Radkleidung vor dem Frühstücksbuffet, das noch keines ist.

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Um halb sieben starten wir endlich; der Feuerball hat sich in die bekannte, unerbittlich herabbrennende Sonne verwandelt. Noch sind die Temperaturen angenehm, noch ist es kühl und wir rollen während einer Stunde stumm vor uns hin. Ich brauche Zeit, um wach zu werden, meine Beine fühlen sich müde an.




Plötzlich bemerke ich eine Bewegung rechts von mir und zucke zusammen: ein Hund läuft stumm, in ausgreifendem Galopp (kann man das bei Hunden sagen?) neben uns her. Normalerweise bellen die Hunde und verfolgen uns – der hier, oder besser: die Hündin hier, scheint sich einen riesigen Spass daraus zu machen, uns zu begleiten! Sie lässt nicht ab, wechselt hie und da auf den Asphalt oder auf die linke Strassenseite, sucht ein besseres Terrain, um mit uns Schritt zu halten. Fasziniert schaue ich ihr zu, wie ihre Vorläufe ausholen, ihr Körper sich athletisch streckt… 


Nach einigen Kilometern halten wir an, ich will ihr ein Biskuit geben und sie nimmt die Stärkung gerne an. Doch wir müssen weiter, es wird heisser und wir haben erst einen kleinen Teil der 135 km hinter uns gelassen. Wir treten wieder kräftig in die Pedale und die Hündin begleitet uns, doch sie fällt zusehends zurück. Sie schafft es nicht mehr, mit uns Schritt zu halten, obwohl sie lange nicht aufgibt. Immer wieder wende ich mich um, um zu sehen, ob sie noch da ist… irgendwann kann ich sie nicht mehr entdecken. Ich werde diese Begegnung wohl nie mehr vergessen.

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Ich rolle und rolle und rolle. Rauf und runter gehen meine Beine, meine Hände suchen eine andere Stellung am Lenker. Das lange Asphaltband dehnt sich in der Sonne aus, es krümmt sich nach rechts und links, es richtet sich auf, um sich über unendlich steile Hügel zu legen, nur um sich dahinter wieder frech hinabfallen zu lassen. Ich nehme die Wüste nicht mehr wahr, es gibt kaum Verkehr. Ich sehe nur dieses elend lange Asphaltband, die unzähligen Hügel vor mir und links in der Ferne das glitzernde Meer. 




Seit El Quesir stehen regelmässig Schilder mit Kilometerangaben am Strassenrand: Marsa Alam 85 km, Shalateen 335 km. Marsa Alam 80 km, Shalateen 330 km… Mir kommt vor, die Distanz verringert sich im Zeitlupentempo, während ich mit aller Kraft in die Pedalen trete. Erst viel später, nämlich kurz vor Marsa Alam, stellen wir fest, dass die Kilometerangaben überhaupt nicht stimmen. Von El Quesir nach Marsa Alam radeln wir 137 km, von Hurghada nach Marsa Alam sind es insgesamt 270 km.

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Muss es denn stetig auf- und abwärts gehen? Wir sind doch am Meer! Ich habe fürchterlich heiss und sehne mich nach kühlem Wasser. Dummerweise haben wir unseren Trinkwasservorrat über Nacht nicht gekühlt – das büsse ich… Kühlung von Innen wäre gefragt. Beim Aufstieg kurz vor Port Ghalib erblicke ich eine Tankstelle. „Kaltes Wasser“  schiesst es mir durch den Kopf. Doch weder im Tankstellenshop noch im Café daneben findet sich die begehrte Flüssigkeit – obwohl haufenweise Kisten mit Mineralwasser vor dem Café gestapelt sind. Die Kühlvitrinen sind verriegelt und drinnen finde ich niemanden. Naja, es ist Eid El Kibir, der höchste muslimische Feiertag, und der Typ wird wohl irgendwo schlafen… Enttäuscht schwinge ich mich wieder auf meinen Sattel.

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Wir kommen an der Abzweigung nach Port Ghalib vorbei und ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich heute Abend dort mit einem kühlen Bier sitzen werde. Wir rollen hinab, in die nächste Ebene und trampeln wieder hinauf, zur nächsten Erhebung.

Ich bin so müde, dass ich eigentlich vom Rad fallen müsste. Die Musik in meinem Ohr feuert mich an und sobald ich zuoberst auf einer Erhebung bin und vor mir die nächste Senke liegt, stürze ich mich freudig und mutig hinab… nur um einige Minuten wieder hinauf zu trampeln. Bei jedem Aufstieg falle ich weiter hinter meinem Rad-Kameraden zurück – ein Zeichen, dass meine Kräfte zu Ende sind.

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Plötzlich liegt Marsa Alam vor uns. Kein Strassenschild, völlig unspektakulär, ja fast enttäuschend erreichen wir unser Ziel. In einer Nebenstrasse verstauen wir unsere Räder im Begleitfahrzeug und ich schütte eiskaltes Cola und Wasser in mich hinein, um meine Betriebstemperatur zu reduzieren.

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Wir fahren retour nach Port Ghalib, wo ich zwei Tage bleibe, während mein Rad-Kamerad nach Hurghada zurückkehrt.

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Ich gestehe, dass ich am Tag danach so unendlich müde war, dass ich mich am liebsten nicht mehr bewegen, sondern nur sitzen, oder noch besser: liegen wollte. Und essen. Ich habe doppelt so viel gefrühstückt und zwei Mal zu Mittag gegessen und das zwei Tage lang.

Auf der Rückfahrt nach Hurghada (per Taxi) habe ich mich allen Ernstes gefragt, wie ich diese 270km in zwei Tagen per Rad fahren konnte – es ist mir noch immer Rätsel! Ich hab’s aber geschafft und ich bin stolz darauf.