Sonntag, Oktober 28, 2012

Weg vom Alltag

Das kulturelle Leben verläuft in Hurghada etwas eintönig. Es gibt jede Menge von Bars, Kaffees, Restaurants, Nachtclubs, Beachclubs und Discos.

Für etwas anspruchsvollere Gemüter reicht das nicht. Es gibt kein Theater, keine klassische Musik, kein anspruchsvolles Kino, keine Lesungen und und und…
Doch jetzt sind Feiertage (Eid el Adha- Opferfest) und es gibt Ausnahmen.

El Gouna
Ich war in El Gouna in der Marina, wo Live Bands spielen, Komödianten zum Lachen provozieren und Artisten mit ihrem Können begeistern. In El Gouna tummelt sich momentan die Crème de la Crème Ägyptens (selbstverständlich auch Touristen aus aller Welt) und es tat mir unheimlich wohl, gepflegte, zivilisierte, gut gekleidete Menschen zu sehen. Von einem älteren Mann mit riesigen, altmodischen Brillengläsern und einem schrecklichen Toupet mit hübscher Begleitung am Nebentisch konnte ich meine Augen nicht abwenden. Wo hatte ich ihn schon gesehen? Als sich ein junger Mann mit ihm Hände schüttelnd fotografieren liess, fragte ich meinen Kollegen, wer denn das sei. Mufid Fawzy, ein Fernsehstar, der seine eigene, Regime-kritische Sendung hatte. Und das da, auf einen vorbeigehenden, eleganten Herrn weisend, ist ein bekannter ägyptischer Schauspieler… Ich lächelte und fühlte mich irgendwie wohl und aufgehoben, ein wenig wie an der Côte d’Azur im Sommer. Die schnittigen Jachten wenige Meter hinter uns und ein makelloser Sternenhimmel haben dieses Gefühl nur noch verstärkt.

Sahl Hasheesh
In Sahl Hasheesh, noch so ein wunderschöner Ort ausserhalb Hurghadas, war ich kürzlich auch Gast bei einem Festival. Das Aussergewöhnliche ist hier die Umgebung: der Anlass findet in einem bezaubernden orientalischen Bau mit Wasserspielen, Blick aufs weite Meer und ebenso erstaunlichem Sternenhimmel statt.

Mohamed Mounir live
War es das schönste Erlebnis? Gestern gab Mohamed Mounir - der „König“, wie ihn die Ägypter nennen – ein Konzert in Makadi Bay, etwa 25km ausserhalb Hurghadas. Als ich davon erfuhr, wollte ich unbedingt hingehen, denn ich mag die Stimme Mohamed Mounirs. Er hat bei den Ägyptern einen besonderen Status: er ist sich seiner Verantwortung als berühmter und beliebter Künstler bewusst und spricht mit seinen Liedern aktuelle Probleme an, ruft zu Besonnenheit, Geduld und Zusammengehörigkeit auf. Seine Musik kombiniert geschickt traditionelle ägyptische Instrumente und Rhythmen mit Jazz, Reggae und afrikanischen Rhythmen. Dazu kommt seine seltsame, in Arabisch und Nubisch singende Stimme.

Ich ging ohne grosse Erwartungen hin und war umso mehr überrascht: es gab Security, es gab Ambulanzfahrzeuge, ein modernes Feuerwehrauto, chemische Toiletten und Verpflegungsstände. Die Parkeinweiser gaben sich grosse Mühe und die meisten Fahrzeuge wurden ordentlich abgestellt. Bühnenaufbau, Licht- und Bühnenshow und Kameras waren so, wie es an jedem grossen Konzert üblich ist. Verwunderlich? Irgendwie schon, habe ich doch in Hurghada bis jetzt wenig Qualität angetroffen.

Aussergewöhnlich war wieder die Lage: ein riesiger, sandiger, gegen die Bühne hin leicht abfallender Platz bei einem grossen Ferienresort an erhöhter Lage, Sternenhimmel, ein fast voller, hell leuchtender Mond und ein kühler Abendwind.
 

Ja, es war das schönste Erlebnis seit ich vor dreieinhalb Jahren in dieses Land zog: während zwei Stunden habe ich den Alltag vergessen und Musik, Feuerwerk und friedliche Stimmung genossen… und kurz vor Konzertschluss sind wir schnell zum Auto gegangen, um dem bevorstehenden Stau zu entkommen.

Allerdings blieb ich ausserhalb der dichten Menschenmenge und das war gut so, wie ich heute erfuhr: es hat dort drin nämlich leider wieder sexuelle Belästigungen gegeben.

El Gouna, Sahl Hasheesh und Makadi Bay haben viele Gemeinsamkeiten: sie sind gepflegt, teuer und weit von Hurghada weg – wenn man ohne Auto ist. Freunde und Bekannte mit Auto haben mich eingeladen und ich habe voller Freude akzeptiert.

Weg vom Alltag – es hat mir unheimlich gut getan und ich schwebe immer noch…


 

 

Donnerstag, Oktober 18, 2012

Cool Man

Wie so oft stehe ich am Strassenrand und warte auf einen Minibus. Wie üblich hält ein Taxi an, obwohl ich kein Zeichen gegeben habe. Ich lass den Fahrer verstehen, dass ich nicht mit ihm fahren will. Doch Moment mal,… hej, aus dem Taxi heraus erklingt super Musik! Keine Koran-Rezitationen, keine arabische Popmusik, nein: Gipsy Kings und Reggae. Ich grinse und sage ihm, dass die Musik aber super sei.

Ich soll mitkommen, nur wegen der Musik, er sei sowieso auf dem Heimweg, Schichtende. Will ich nicht und reibe meinen Daumen und Zeigefinger übereinander: kein Geld. Egal, meint er, aber ich lehne ab.

So steige ich kurz darauf in einen meiner innig geliebten Minibusse, steige im Bankenviertel wieder aus, erledige meine Angelegenheiten und warte 15 Minuten später erneut wie so oft am Strassenrand… auf den nächsten Minibus.

Und wer steht schon wieder vor mir? Derselbe Taxifahrer, mit derselben coolen Musik! Er grinst und meint, das sei Bestimmung. Ganz meiner Meinung und diesmal steige ich lachend ein. Wir plaudern über Musik, wir reden über Hurghadas Taxi-Mafia und wir lachen viel. Reda spricht recht gut Englisch, trägt seine Haare in einen grauen Pferdeschwanz zusammen gebunden und darüber eine Baseballmütze. Bevor ich bei der Marina aussteige, speichere ich seine Telefonnummer – für’s nächste Mal. Diesmal bin ich gratis gefahren.

Auch das gibt’s in Hurghada!

Samstag, Oktober 13, 2012

Auf nach El Quesir

Die Sonne steigt soeben über dem Meer auf, die Luft ist noch kühl, die Strassen leer. Wir radeln… Hinaus aus Hurghada, hinauf zum Checkpoint, weiter an den bekannten Abzweigungen vorbei: Makadi, Soma Bay, Safaga.

 
 

Da ich noch nie in Safaga war, fahren wir durch das lang gezogene Dorf bzw. was dazu gehört. Unser Radsattel wird zum Kinosessel: Gemüsestände und Geschäfte, vor denen noch halb schlafende Männer in Kaftanen stehen, gehen, Zeitung lesen und Frauen in schwarzen Gewändern ihre Einkäufe in einem Korb auf dem Kopf balancieren, wechseln mit landestypischen, einfachen Kaffeehäusern, verlotterten Schulen und Häusern ab. Überall liegt Abfall und ich höre in Gedanken wieder, wie sauber Hurghada doch sei. Ägypter zeigen sich darüber so begeistert. Europäer beurteilen das etwas anders.


Wir radeln. Die Strasse führt in stetem Auf und Ab durch die Ausläufer des Red Sea Gebirges, das seit Safaga nicht die sonst übliche gold-gelbe Farbe aufweist, sondern sich grau-schwarz präsentiert. Das Asphaltband liegt wie ein dunkelgrauer Streifen viele Kilometer vor uns ausgerollt und verliert sich am flimmernden Horizont. Die Steigungen bieten Abwechslung und sind uns Motivation: mit Rückenwind oben angekommen, treten wir umso kräftiger in die Pedale, stürzen uns mit Eifer hinab, um mit Schwung durch die Senke zu brausen und mit weniger Kraftaufwand die nächste Steigung zu erreichen. Seit Safaga gehört die Strasse praktisch uns.
 
 
 
 
 
„Ist das nicht gefährlich?“ war eine berechtigte Frage meiner Bekannten, denen ich von unserem Vorhaben erzählte. Nein, es ist nicht gefährlich, denn ich fahre a) nicht alleine, b) in aller Frühe und c) wir haben ein Begleitfahrzeug.

Emad, der Chauffeur, begleitet uns fürsorglich, hält an übersichtlichen Stellen, versorgt uns mit kühlem Wasser, macht Fotos von uns und: geniesst unüberhörbar Klimaanlage und die gute Stereoanlage des Fahrzeugs meines Velo-Kameraden! 
 
 
Wir radeln. Die grau-schwarzen Berge haben sich zurückgezogen, es herrscht wieder gold-gelb vor. Eintönig, keine Hügel, nur noch sanfte Erhebungen. Es ist sehr heiss und obwohl ich ständig trinke, muss ich nie austreten (kein gutes Zeichen, wie ich drei Wochen später feststellte). Ich esse einen Apfel, ein Dattelkeks, ein paar Nüsse. Essen kann ich nicht besonders viel. Mein Kollege hingegen ist ständig mit Essen beschäftigt ;).

Die Luft flimmert in der Hitze. Immer wieder lass ich meinen Blick über diese für mich auch nach über drei Jahren seltsame, fesselnde Landschaft schweifen, sehe hinab zum glitzernden Meer und erblicke…. Fahrradfahrer? … Menschen auf Zweirädern?… Mountainbikes?... Ich frage mich, ob ich schon Halluzinationen habe und mir eine Fata Morgana einen Streich spielt. Ich mache Michael darauf aufmerksam. Nein, er sieht sie auch, die sind echt. Wir halten an, rufen und winken. Die Gruppe sieht uns und kommt uns entgegen. Es sind Biker aus einem nahe gelegenen Hotel, die mit ihrem Führer unterwegs sind. Unsere Begeisterung, Menschen auf Zweirädern zu begegnen, ist bedeutend grösser, als jene der Touristen. Unsereiner sieht hier ja nicht so oft Gleichgesinnte, sondern sind in Hurghada und Umgebung so ziemliche Exoten!

Kurz nach dieser Begegnung wird die Strasse einspurig und das Asphaltband verläuft direkt am Meer und feinem Sandstrand. Da und dort vergnügen sich Leute im Meer. Wir radeln weiter unserem Ziel entgegen und nähern uns einem Umschlagsort für Phosphat. Wir werden in eine riesige Phosphat-Staubwolke gehüllt. Ein Frachtschiff wird mit Phosphat beladen, Lastwagen treten mit dem wertvollen Staub ihren langen Weg nach Kairo an. Ich male mir aus, unter welchen Bedingungen die Menschen hier arbeiten und dass früher oder später alle eine Staublunge haben werden.



Es wird heisser, Schweiss und Staub kleben im Gesicht, an Armen und Beinen. Schweigend radeln wir weiter, jeder mit seinen Gedanken, Eindrücken und Leiden beschäftigt. Kurze Wortwechsel lenken uns ab, muntern uns auf. Berge und Hügel zeigen sich wieder abwechslungsreicher und ich spüre wieder den Wunsch, irgendwann in diesem Gebirge mit dem Mountainbike unterwegs zu sein.
 
 

Wir passieren die Minengesellschaf und das heisst: noch 15 km bis El Quesir! Ich sende dem Direktor des Hotel Mövenpick ein Sms, um unsere Ankunft anzukündigen. Kurz darauf erreichen wir die Hotel-Einfahrt und lassen uns von Emad fotografieren. Müde, aber stolz und voller Freude versorgen wir unsere Räder und mischen uns nach einer Dusche unauffällig unter die Hotelgäste. Duschen, Strand, Baden, Essen, Pool, fast etwas anstrengend wird es, denn wir wollen die schöne Hotelanlage voll und ganz geniessen ;). Danke Mehdy!
 
 
Bei Einbruch der Dunkelheit setzen wir uns ins Auto und fahren mit vielen beglückenden Eindrücken und schweren Beinen unter dem Wüsten-Sternenhimmel nach Hause.

Dank Michael konnte ich diesen Radausflug unternehmen. Allein ist das als Frau momentan nicht zu empfehlen. Aber gemeinsam sind weitere Ausflüge machbar. Für mich bedeutet dies eine neue Lebensqualität.
Eckdaten: 130km, 4 Stunden Fahrzeit, viele Liter Wasser und Rückenwind (zum Glück!)
 

Donnerstag, September 27, 2012

Herbst

Der Erdtrabant hängt wie ein hell erleuchteter, weisser Lampion am Nachthimmel. In zwei Tagen ist er kugelrund. Der Anblick ist gewohnt, seit  Monaten gleich. Doch heute Nacht ist etwas anders: es hat Wölkchen, kleine, weisse, bauschige Kumuluswölkchen.

Es sind die ersten Wolken seit Monaten. Der Herbst ist da.

Freitag, September 14, 2012

Satire, Kritik oder Provokation?

Wieder einmal regt sich die islamische Welt über eine sogenannte Kritik auf, die gegen den Propheten Mohamed gerichtet ist. Das ganze Theater möchte ich gerne als lächerlich abtun, wären inzwischen nicht Tote zu beklagen und ernsthafte Ausschreitungen gegen westliche Einrichtungen und Menschen zu befürchten.

Der Video, der angeblich Auslöser für die Proteste ist, ist primitiv, blöd und lächerlich. Ich habe es mir während ein paar Minuten angesehen, dann aber aufgehört, weil ich meine Zeit nicht mit so viel Blödheit verschwenden mag. Inzwischen kann es hier in Ägypten nicht mehr auf Youtube aufgerufen werden.

Mir ist das alles sehr zuwider. Wie kann die Regierung Ägyptens (!) zu Protesten aufrufen? Die Muslimbrüder haben das getan (die sind für mich mit der Regierung identisch); den Aufruf haben sie wieder zurückgezogen… zu spät aber, der Schaden ist angerichtet. Eine Entschuldigung bzw. Bedauern über den Tod des amerikanischen Gesandten in Libyen seitens Mohamed Mursi, dem Regierungschef des bevölkerungsreichsten arabischen Landes und strategischen Partners der USA, folgte erst zwei Tage später. Dummheit oder Strategie?

Besagtes Video war weder Satire noch Kritik, sondern gezielte Provokation. Und die Islamisten sind bewusst darauf eingegangen. Komischerweise begann alles am 11. September. Es ist wie ein Spiel: Einer lauert auf seinen „Feind“, wirft ihm ein böses Wort an den Kopf, dieser reagiert unverhältnismässig, um sich zu rächen. So geht das hin und her und hin und her, bis statt Worte Blut fliesst.

Und die Menschen begreifen nicht, wie sie durch ihre „Religionsführer“ manipuliert werden. Sie können es gar nicht begreifen, denn es ist immer die grosse Masse der Armen und Ungebildeten, die an diesen Protesten auf die Strasse geht. In die Menge werden noch ein paar bezahlte Kriminelle gemischt, um Steine und Molotowcocktails zu werfen, Flaggen zu verbrennen, ausländische Einrichtungen zu beschädigen und gegenüber anders Denkenden gewalttätig zu werden. Die einen tun für ein paar Geldscheine alles, die anderen für das Versprechen, einst im Paradies zu leben. Kürzlich sagte mir jemand: „Die Aussicht, im Paradies genug zu essen und zehn Jungfrauen zu haben ist ausreichend für einen Selbstmordattentäter. Er hat auf Erden nichts zu verlieren, aber im Jenseits alles zu gewinnen.“

Solange in der arabischen Welt die Mehrheit der Menschen keine angemessene Bildung hat und in Armut lebt, wird dieser angestachelte Hass nie enden, wird es nie Frieden zwischen den Religionen geben. In dieser Bevölkerungsschicht ist die Religion zu mächtig und die Menschen folgen ihr blindlings. Und jene, die ganz oben sind und die Führungsverantwortung haben, nützen dies zu ihren Gunsten aus. Religion ist Macht – nichts anderes.

Aus diesem Blickwinkel ist Ägypten im Mittelalter angekommen (da, wo einst Europa und die katholische Kirche waren). „Die Muslimbrüder sind vor allem Geschäftsleute“ erwiderte mein Gesprächspartner gestern. Genau. Vor ein paar Tagen veröffentlichte das Washington Institute im Internet ein „Wer ist wer“ der Muslimbrüder. Ein Blick darauf bestätigt: alles sind top qualifizierte Kader, die meisten haben in den USA (welche Ironie) studiert, haben einen Lehrstuhl an einer Universität inne oder sind erfolgreiche Geschäftsleute, bestens untereinander vernetzt, oft noch zusätzlich durch Heirat. Geschäft und Macht. Und sie verstecken sich hinter der Religion. Und kaum einer merkt’s. Beinahe.

So bald wird sich das in den arabischen Ländern auch nicht ändern. Dazu braucht es mehr, als ein oder zwei Diktatoren zum Teufel zu jagen. Ein provokativer Cartoon, ein lächerlicher Film, ein kritisches Buch… sie reichen aus, die arabische Welt in Flammen zu stürzen und die politische Stabilität zwischen West und Orient in Schieflage zu bringen.

Update:
Die Proteste und Übergriffe zwischen Tunesien und Jemen folgen einem ähnlichen Muster: kurzzeitig waren die Botschaften nicht geschützt oder Polizisten zeigten angeblich den Weg zum Eingang. Irgendwas ist faul. Was geht vor in der arabischen Welt?

Sonntag, August 26, 2012

Innerlich zerrissen

Hin

Der Flug ist schon lange gebucht, Mitbringsel gekauft, nur der Koffer sollte noch gepackt werden. Aber ich schiebe das vor mich her, denn ich will nicht wirklich weg. Ich will nicht weg von da, wo ich lebe, wo ich im Moment daheim bin.

Dabei bringt mich die Reise dorthin, wo ich ebenfalls daheim bin: in meine ursprüngliche Heimat. Dorthin, wo liebe Menschen sehnsüchtig auf mein Kommen warten. Dorthin, wo ich Natur und Landschaft kenne, wo ich mit täglichen Abläufen und Routine vertraut bin. Auch dorthin, wo meine persönlichen Sachen sind: Möbel, Fotoalben, Bilder, Bücher, Hausrat, Winterkleider und viele Erinnerungen.

Ich weiss nicht, was ich einpacken soll, obwohl ich genau weiss, welches Klima mich dort erwartet. Ich bin Tage vor der Abreise angespannt und reagiere gereizt auf alle möglichen Fragen: Wie lange bleibst du? Was machst du dort? Weshalb gehst du? Wann kommst du wieder? Kommst du bestimmt wieder?

Ich habe Bauchweh. Ich bin nervös. Ich muss Abschied von dem Ort nehmen, wo ich lebe. Die Freude auf das Dort hat noch keine Chance. Wasser abdrehen, Sicherungen abschalten und Fenster gut schliessen. Ein letzter prüfender Blick: ob wohl alles noch so ist, wenn ich wieder komme?

Die Fahrt zum Flughafen ist kurz, das Warten auf den Abflug umso länger. Der Blick aus dem an Höhe gewinnenden Flugzeug hinab auf die Wüste, auf die chaotische Häuseransammlung mit Swimmingpools, märchenhaften Hotelanlagen am tiefblauen Meer und richtungsgetrennten, zweispurigen Strassen provoziert Fragen: was mache ich denn da? Weshalb lebe ich da? Was hält mich in dieser unwirtlichen, unschönen Landschaft mit Menschen, die eine völlig andere Kultur, Religion und Sprache ihr Eigen nennen? Meine Augen werden feucht, denn trotz allem bindet mich so Vieles an meine Wahlheimat, die so anders ist. Sie hat ein Eckchen in meinem Herzen erobert – oder nein: ich habe sie Stück für Stück erobert, akzeptiert, angenommen und lieb gewonnen.

Viereinhalb Stunden Flug und eine Zugfahrt lang wandeln meine Stimmung. Die Trauer über den Abschied wird von der Freude auf das Dort abgelöst.

Ankommen

Zuhause – ein vielseitig anwendbarer Begriff geworden – ist die Wiedersehensfreude riesig und wieder werden die Augen feucht. Die ersten Tage dienen Akklimatisation und Anpassung, man hat sich vieles zu erzählen, danach folgen Tage voller Aktivität und man stellt fest, dass alles so ist, wie es immer war. Fast zumindest: da und dort steht ein Haus mehr oder weniger, wurde ein Platz verschönert oder die Strassenführung verändert. Die Kinder sind grösser geworden, die grauen Haare und Falten zahlreicher. Im Grossen und Ganzen bleibt alles, wie es ist. Und ganz sachte - wie seltsam – erklingt wieder der Drang, dorthin zurück zu kehren, wo man auch noch zuhause ist.

Ein Blick in die Augen der Lieben provoziert Fragen: Wie kannst du ihnen das antun? Wie kannst du sie wieder so lange allein lassen, sie, die dich lieb haben und vermissen? Der Geschmack ist bitter, der Kloss im Hals lässt mich nicht frei atmen, das Herz ist schwer…

Und doch führen auch sie ihr eigenes Leben, verfolgen ihre eigenen Ziele, verwirklichen ihre eigenen Wünsche und kämpfen mit ihren eigenen Problemen. Trotzdem bleibt beim Abschied eine quälende Ungewissheit im Herzen – sieht man sich auch wieder? Werden sie gesund bleiben? Der Abschied fällt jedes Mal schwerer, obwohl auch er zur Routine geworden und schon x-Mal zelebriert worden ist. Dank Internet schrumpfen die Distanzen und man hört sich öfter, schreibt sich regelmässig – welche Erleichterung!

Und zurück

Zuerst vergeht die Zeit langsam und ich frage mich, was ich so lange hier tun soll. Leider muss man ja das Datum des Rückflugs lange vorher bestimmen. Doch plötzlich geht es viel zu schnell: ich hätte noch dies und jenes wollen oder sollen oder müssen… Und ich erlebe wieder dieselben Gemütsschwankungen wie vor der Abreise. Spätestens beim Flug über die Alpen frage ich mich ernsthaft, weshalb ich diese wunderschöne Landschaft wieder verlasse… Weshalb tausche ich Sicherheit, Sauberkeit und Ordnung, Rechtsstaat, Menschenrechte, Bekanntes und Vertrautes gegen Unsicherheit, Chaos, Korruption, Unterdrückung und Fremdes? Sobald das Flugzeug aber landet und die salzige Wüstenluft in meine Nase dringt, freue ich mich: ich bin wieder daheim. Anders, aber auch daheim.

Daheim und daheim

„Ich habe zwei Zuhause“ meinte eine Freundin, als wir über dieses Thema diskutierten. Sie gehört hierhin und dorthin, fühlt sich an beiden Orten aufgehoben und wohl. Eine andere Bekannte sagte mir, dass sie vor der Abreise jeweils „sehr nahe am Wasser gebaut hat“, sprich, schnell in Tränen ausbricht und das während drei bis vier Wochen. So lange braucht sie, um sich wieder einzuleben.

Bei mir geht es schneller. So, wie ich das Kofferpacken vor mir herschiebe, schiebe ich auch das Auspacken vor mir her. Es quält mich, ich weine, trauere und frage mich, weshalb ich mir das antue. Sobald aber die Waschmaschine läuft und ich mich anschicke, einkaufen zu gehen, damit ich mir zum Frühstück ein Müesli machen kann, und der Internetanschluss wieder aktiviert ist, bin ich wieder daheim - obwohl ein Quäntchen Traurigkeit immer herumlungert.

Viele meiner Bekannten betrachten ihr Leben in der Fremde als ihre Heimat – und vermissen trotzdem ihre ursprüngliche Heimat und besuchen sie, wenn irgendwie möglich, wenigstens einmal pro Jahr.

Niemand kann diese innere Zerrissenheit nachempfinden, der sie nicht selbst erlebt. Das Leben ist nicht einfacher und trotzdem bleibt man. Jeder hat seine ganz persönlichen Gründe dafür; für die einen bleibt es fraglos für immer so und für andere nur für ein paar Jahre. Dann kehren sie wieder dorthin zurück, wo sie ursprünglich herkommen – und nicht mehr hundertprozentig hinpassen. Ich werde auch irgendwann zurückkehren… um allerdings erneut woanders hinzugehen. Innerlich zerrissen, eben.

Mittwoch, August 08, 2012

Einfach nur mühsam – aber ganz normal

Ich stehe heute zehn Minuten nach neun vor der Bank. Aber die ist zu. Ich weiss, während des Ramadans sind Banken nur bis 13.30 Uhr geöffnet. Dass sie morgens erst um halb zehn öffnen, habe ich nicht mitgekriegt.

Also warte ich. Nicht bloss zwanzig, sondern fünfundzwanzig Minuten. Zuerst draussen in der Hitze, dann im eisgekühlten Vorraum. Die Sicherheitsleute lesen im Koran und schwatzen. Immer mehr Bankkunden gesellen sich zu mir. Aha, auch die Ägypter wissen nicht, dass die Bank so spät öffnet. Einer schaut ständig auf die Uhr, während ich mir Gedanken mache. Wie kann das Geschäftsleben funktionieren, wenn die Banken nur vier Stunden täglich geöffnet sind? Ich erinnere mich an die Worte eines Schülers, wonach das Bankgeschäft momentan sowieso auf Sparflamme läuft. Mir wird schwindlig, habe zu wenig getrunken, weil ich direkt nach dem Frühstück aus dem Haus bin. Und während des Ramadans versuche ich, in der Öffentlichkeit nicht zu trinken. Ich betrachte die wartenden Männer und überlege, ob wohl einer Gentlemen genug ist zu erkennen, dass ich die Erste war.

Nein. Als die Tür endlich aufgeht, koche ich innerlich. Wie immer drängen die Männer sich vor und, mich kaum mehr beherrschend, erinnere ich die ägyptischen Herren Gentlemen laut in Englisch daran, dass ich zuerst da war. Zwei drehen mir taub den Rücken zu, ein anderer bittet mich vorzutreten und entschuldigt sich.

Einfach nur mühsam – aber leider so normal!

Ich will Euro abheben und bei der Nationalbank gegenüber in Pfund wechseln. Die Nationalbank gibt die besseren Wechselkurse. Danach komme ich wieder zu meiner Bank zurück, um die Pfund einzuzahlen. Blöd eigentlich in Zeiten von Internetbanking. Schliesslich warte ich bei der Nationalbank nochmals zwanzig Minuten. Dort hat es etwa zwanzig Schalter, aber nur einen für Geldwechsel.

Einfach nur mühsam.

Ich steige in einen Bus, denn heute muss ich ins Passbüro fahren. Ausgerechnet dieser Bus fährt nicht bis zum üblichen Zielort und während ich mich damit abfinde, quatscht mich ein Insasse an und fragt, woher ich komme. Das ist sehr unüblich in einem Minibus und der kochende Dampfkessel in mir droht schon wieder fast zu explodieren. Ich steige aus, halte ein Taxi an und gebe ihm die Adresse an. Der Chauffeur schaut mich verdutzt an. Ich wiederhole Passbüro in Arabisch und frage, ob er mich verstanden hat – kann ja sein, dass mein Arabisch heute unverständlich klingt. Doch, doch, erwidert er und frägt beim nächsten Kreisel einen Fussgänger. Oh, der Dampfkessel! Ich weise dem Fahrer den Weg. Vor lauter Freude fängt er mit der üblichen Fragerei an: ob ich hier arbeite, ob ich verheiratet sei, ob mit einem Ägypter… „chalaass!“- genug, sage ich! Und zum Glück sind wir beim Passbüro.

Ganz normal – aber auch ganz mühsam.

Dort stellt die Dame zu meinem Leidwesen fest, dass ich wiedermal das falsche Visum kopiert habe. Ich will ein Wiedereinreise-Visum und dafür muss man alle möglichen Stempelchen und den Pass kopieren. Also packe ich meine Papiere ein und marschiere hinaus, in die brütende Hitze, zu dem 10 Minuten entfernten kleinen Laden, der Kopien für alle vergesslichen Leute wie mich macht. Er macht wohl ein Vermögen, denke ich mir. Wenn die im Passamt klever wären, würden sie dort einen Kopierer aufstellen – wäre sicher ein gutes Geschäft. Auf dem Weg gehe ich an Polizisten der Zentralen Sicherheitseinheit vorbei. Das sind die in Schwarz, die an den Checkpoints stehen und bei Aufständen die Drecksarbeit machen. Sie liegen und sitzen im Schatten auf dem Trottoir, im Truppenfahrzeug, schlafen oder begaffen alle Vorbeigehenden. Die Windschutzscheibe ist zersprungen, das Fahrzeug selber in einem jämmerlichen Zustand. Ein Abbild Ägyptens. 10 Minuten in noch grösserer Hitze zurück marschieren und dann gebe ich Pass, Papiere und Geld ab. Ohne Vorauszahlung geht nichts.

Das Wiedereinreise-Visum darf ich um 13 Uhr abholen. So lange mag ich weder hier noch anderswo warten und schon gar nicht nochmals die ganze Fahrt unternehmen. Ich komm morgen wieder. „Mafiisch muschkilla“ meint die missmutige Dame. Immerhin.

Trotzdem mühsam. Den Spass erlaube ich mir zwei bis drei Mal pro Jahr: bei der Visum-Verlängerung und bei den Wiedereinreise-Visen.

Wieder ein Taxi, diesmal muss ich dem Fahrer nur sagen, dass er mich direkt vor dem Gemüsemarkt aussteigen lassen soll. Ich hol noch schnell Tomaten und Trauben vom Markt und setze mich dann in einen Bus, der über die Ringstrasse zu mir hinaus fährt. Der Schweiss rinnt mir die Beine hinab, die Knie des Jungen neben mir schiebe ich mit einer wirschen Handbewegung zur Seite, von alleine merkt er nicht, dass er mich dauernd berührt. Mein Dampfkessel hat sich beruhigt, der Junge tut mir fast leid – Ägypter kennen keinen nötigen Körperabstand. Wie soll’s der Junge da wissen? Gleich bin ich zu Hause.

Der ganze Ausflug dauert knapp vier Stunden, inklusive bzw. wegen dem Warten. Und morgen fahre ich nochmals zum Passbüro, um meinen Pass wieder abzuholen. Mühsam, aber ganz normal. Ich bin froh, besitze ich weder eine Immobilie noch ein Fahrzeug – denn dann hätte ich noch mehr mit Ämtern zu tun.

Wofür ich das Visum brauche? Ich fliege am Sonntag heim.