Sonntag, Januar 12, 2014

Maul halten

Ägypten eilt mit Riesenschritten in die repressive Vergangenheit. Wer nicht dafür ist, ist dagegen, wird zum Staatsfeind erklärt und mundtot gemacht.

Das kürzlich erlassene „Demonstrationsgesetz“ dient nicht nur dazu, die zur Routine gewordenen Kundgebungen der Muslimbrüder einzudämmen und gegen sie gewaltsam vorzugehen. Damit werden auch die „Gegner“ des jetzigen Regimes zum Schweigen gebracht. Wer sind diese Gegner? Wovor haben die Machthaber Angst?

Momentan sitzen Dutzende von namhaften und Hunderte von weniger berühmten Aktivisten in Gefängnissen. Es sind jene Mutigen, die hinter dem Aufstand vom 25. Januar 2011 stehen. Tausende weitere Unschuldige, die zur falschen Zeit am falschen Ort gingen, sassen oder standen, neben Journalisten, Muslimbrüdern und anderen „Staatsfeinden“ sitzen auch hinter Gittern. Den Aktivisten wird vorgeworfen, unerlaubt demonstriert, zu Kundgebungen aufgerufen zu haben oder – noch schlimmer – Staatseigentum beschädigt oder einen Polizisten angegriffen zu haben. Wer den Mund auftut, um seine Meinung zu sagen, läuft Gefahr, von der Polizei abgeführt zu werden. Anlässlich der Wiederaufnahme der Gerichts-Verhandlung zur Tötung von Khaled Said wurde ein Dichter abgeführt; vor dem Gericht hielten einige Demonstranten Schilder hoch und verlangten Gerechtigkeit (für Khaled Said). Als einige von ihnen von der Polizei abgeführt wurden, fragte der Dichter einen Polizisten: „weshalb nehmt ihr sie mit?“. Jetzt sitzt er auch (Masr El-Youm, 7.1.2014).

Im ganzen Land werden Millionen von Pfund für Werbebanner ausgegeben, die auffordern, übermorgen am Referendum über die überarbeitete Verfassung mit „Ja“ zu stimmen. Jene Handvoll Leute, die Flyer mit dem Aufruf dagegen zu stimmen verteilten, wurden festgenommen. Das Regime hat Angst vor jedem, der anderer Meinung ist. Ganz abgesehen davon, dass mit dem verschwendeten Geld vielen Bedürftigen geholfen werden könnte. Verschwendet ist das Geld, weil die Verfassung sowieso angenommen wird. Oder zweifelt jemand daran?

Eine Bekannte hat mich gewarnt: ich solle aufpassen, wo ich welchen Kommentar hinterlasse. Tatsächlich wurde ich virtuell angegriffen und übel beschimpft, als ich meine Zweifel am  Wahrheitsgehalt der Nachrichten äusserte. Gemäss dem Einheitsbrei, der seit Monaten durch die Medien geistert, deckt die Polizei ständig geplante Bombenangriffe auf, entdeckt Terrorzellen, tötet Terroristen, hält einen 12-jährigen davon ab, sich als Selbstmordattentäter in die Luft zu jagen, und entschärft versteckte Bomben. Alles kann nicht wahr sein. Den Grund für die Beschimpfungen habe ich zuerst gar nicht verstanden. Doch Tatsache ist: wer nicht hinter dem jetzigen (und ursprünglichen) Regime steht, d.h., wer nicht mit der Mehrheit mitjubelt, ist entweder ein Anhänger der Muslimbrüder oder ein vom Ausland finanzierter Spion. Ein Heuchler sowieso und jemand, der keine Ahnung von Ägypten hat ebenfalls. Habe ich auch nicht, ich schaue und höre nur zu. Dann denke ich und das ist schon zu viel.

Die Mehrheit will nämlich nicht denken, sondern will einem Helden folgen, der sie ins Paradies – in Ägypten ist das Stabilität, Sicherheit und raus aus der wirtschaftlichen Misere – führt. Wer immer das verspricht, dem wird gehuldigt und blind gefolgt. Dabei fallen sie von einer Falle in die nächste. Wem das nicht passt, ist ein Gegner, der hinter Gitter gehört, damit er nicht nochmals auf die Idee kommt, einen Aufstand anzuzetteln.

Wie stark ist so ein Regime, wenn es Angst vor seinem eigenen Volk hat? Die Minderheit wartet vorerst ab und schweigt. Früher oder später wird sich das wieder ändern und die Mehrheit wird entdecken, dass sie wieder in eine Falle gestolpert ist. Nach dem Aufstand ist vor dem Aufstand; trotz Repression und Gewalt.

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