Ägypten eilt mit Riesenschritten in die repressive Vergangenheit.
Wer nicht dafür ist, ist dagegen, wird zum Staatsfeind erklärt und mundtot
gemacht.
Das kürzlich erlassene „Demonstrationsgesetz“
dient nicht nur dazu, die zur Routine gewordenen Kundgebungen der Muslimbrüder
einzudämmen und gegen sie gewaltsam vorzugehen. Damit werden auch die
„Gegner“ des jetzigen Regimes zum Schweigen gebracht. Wer sind diese Gegner?
Wovor haben die Machthaber Angst?
Momentan sitzen Dutzende von namhaften und Hunderte von
weniger berühmten Aktivisten in Gefängnissen. Es sind jene Mutigen, die hinter
dem Aufstand vom 25. Januar 2011 stehen. Tausende weitere Unschuldige, die zur
falschen Zeit am falschen Ort gingen, sassen oder standen, neben Journalisten,
Muslimbrüdern und anderen „Staatsfeinden“ sitzen auch hinter Gittern. Den
Aktivisten wird vorgeworfen, unerlaubt demonstriert, zu Kundgebungen aufgerufen
zu haben oder – noch schlimmer – Staatseigentum beschädigt oder einen
Polizisten angegriffen zu haben. Wer den Mund auftut, um seine Meinung zu
sagen, läuft Gefahr, von der Polizei abgeführt zu werden. Anlässlich der
Wiederaufnahme der Gerichts-Verhandlung zur Tötung von Khaled Said wurde ein
Dichter abgeführt; vor dem Gericht hielten einige Demonstranten Schilder hoch
und verlangten Gerechtigkeit (für Khaled Said). Als einige von ihnen von der
Polizei abgeführt wurden, fragte der Dichter einen Polizisten: „weshalb nehmt
ihr sie mit?“. Jetzt sitzt er auch (Masr El-Youm, 7.1.2014).
Im ganzen Land werden Millionen von Pfund für Werbebanner
ausgegeben, die auffordern, übermorgen am Referendum über die überarbeitete
Verfassung mit „Ja“ zu stimmen. Jene Handvoll Leute, die Flyer mit dem Aufruf dagegen
zu stimmen verteilten, wurden festgenommen. Das Regime hat Angst vor jedem, der
anderer Meinung ist. Ganz abgesehen davon, dass mit dem verschwendeten Geld vielen
Bedürftigen geholfen werden könnte. Verschwendet ist das Geld, weil die
Verfassung sowieso angenommen wird. Oder zweifelt jemand daran?
Eine Bekannte hat mich gewarnt: ich solle aufpassen, wo ich
welchen Kommentar hinterlasse. Tatsächlich wurde ich virtuell angegriffen und
übel beschimpft, als ich meine Zweifel am
Wahrheitsgehalt der Nachrichten äusserte. Gemäss dem Einheitsbrei, der
seit Monaten durch die Medien geistert, deckt die Polizei ständig geplante
Bombenangriffe auf, entdeckt Terrorzellen, tötet Terroristen, hält einen
12-jährigen davon ab, sich als Selbstmordattentäter in die Luft zu jagen, und
entschärft versteckte Bomben. Alles kann nicht wahr sein. Den Grund für die
Beschimpfungen habe ich zuerst gar nicht verstanden. Doch Tatsache ist: wer
nicht hinter dem jetzigen (und ursprünglichen) Regime steht, d.h., wer nicht
mit der Mehrheit mitjubelt, ist entweder ein Anhänger der Muslimbrüder oder ein
vom Ausland finanzierter Spion. Ein Heuchler sowieso und jemand, der keine
Ahnung von Ägypten hat ebenfalls. Habe ich auch nicht, ich schaue und höre nur
zu. Dann denke ich und das ist schon zu viel.
Die Mehrheit will nämlich nicht denken, sondern will einem
Helden folgen, der sie ins Paradies – in Ägypten ist das Stabilität, Sicherheit
und raus aus der wirtschaftlichen Misere – führt. Wer immer das verspricht, dem
wird gehuldigt und blind gefolgt. Dabei fallen sie von einer Falle in die
nächste. Wem das nicht passt, ist ein Gegner, der hinter Gitter gehört, damit
er nicht nochmals auf die Idee kommt, einen Aufstand anzuzetteln.
Wie stark ist so ein Regime, wenn es Angst vor seinem
eigenen Volk hat? Die Minderheit wartet vorerst ab und schweigt. Früher oder
später wird sich das wieder ändern und die Mehrheit wird entdecken, dass sie
wieder in eine Falle gestolpert ist. Nach dem Aufstand ist vor dem Aufstand;
trotz Repression und Gewalt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Danke für Ihren Kommentar. Ich freue mich über jede aktive Teilnahme an meinem Blog. Meinungsfreiheit gilt auch hier. Ich behalte mir jedoch vor, freche und beleidigende Kommentare zu löschen.