Mittwoch, November 27, 2013

Granatäpfel

Ägypten ist für mich in Sachen Obst ein Paradies. Während des ganzen Jahres gibt es Melonen und Bananen. Momentan kommen die ersten Erdbeeren auf den Markt, während es noch Feigen, Datteln, Mangos und Trauben gibt. Orangen sind nicht mehr grün und leicht sauer, sondern süsslich und orangefarben und Mandarinen liegen auch schon bereit. Und es gibt Granatäpfel.

Ich liebe diese rubinroten glitzernden Kerne, die wie rote Kristalle funkeln. Allerdings hatte ich bisher meine liebe Mühe damit, die süssen Kerne aus ihrer dicken Schale zu befreien: der rote Saft dekorierte die halbe Küche, mich inklusive.

Dabei gibt es eine ganz einfache Art, die Frucht zu öffnen, um an die Kerne zu gelangen. Schaut euch den folgenden Video an. Er ist zwar in Arabisch, aber trotzdem verständlich. Die Dame wiederholt immer wieder "zai el bortu'an", was heisst "wie die Orange". Viel Vergnügen beim Granatäpfel essen!


Dienstag, November 26, 2013

… und zurück zum Anfang

Demonstrationen gegen das Demonstrationsgesetz

Lange habe ich mich nicht mehr gemeldet, ich hatte zu tun und Ägypten war damit beschäftigt, den Muslimbrüdern den Garaus zu machen. Die sind jetzt hinter Gitter, im Ausland und mundtot, auch wenn noch da und dort Anschläge gegen Soldaten und Staatseinrichtungen erfolgen und Wehrpflichtige sterben.

Die Verfassungsänderungen geben zu diskutieren und gleichzeitig hat der Übergangspräsident ein Gesetz erlassen, welches das Recht auf Demonstrationen stark einschränkt. Ist das der Job eines Übergangspräsidenten: Gesetze zu erlassen, welche die Freiheiten noch weiter begrenzen?
In Diskussionen las ich: „Na und? Was ist daran so stossend? – Jedes westliche Land hat ein Demonstrationsgesetz“. Ok. Aber in Ägypten ist Demonstrieren die einzige Möglichkeit, den Mund gegen das Regime, gegen die Mächtigen und gegen Ungerechtigkeit aufzumachen. Die Stimme der Strasse hat Gewicht - auf anderem Weg (Antrag, Referendum Petition, Anklage usw. wie in den sogenannten demokratischen Staaten) läuft in diesem Land nichts – ausser, man hat die richtigen Beziehungen und viel Geld. Unter anderem verlangt das gestern erlassene Gesetz, dass Demonstrationen vom Innenministerium bewilligt werden müssen. Genau das Innenministerium ist aber für die meisten Missstände verantwortlich und Auslöser für Demonstrationen.

Logischerweise gab es heute gegen dieses neue Gesetz Demonstrationen – trotz Warnungen. Und nicht nur gegen dieses Gesetz, sondern auch gegen den Verfassungsartikel, der es ermöglicht, Zivilisten durch Militärgerichte aburteilen zu lassen. Ferner demonstrierten Aktivisten in Memorandum an Jika, den 17jährigen Aktivisten, der vor einem Jahr gezielt erschossen wurde. Alle Proteste verliefen friedlich, wohlgemerkt.

Die Polizei setzte jedoch Wasserwerfer und Tränengas ein, um sie zu vertreiben und nahm angeblich über 50 Demonstranten fest. Begründung: das Gesetz sei einzuhalten. Da kann ich mir die Frage nicht verkneifen: gibt es sonst noch irgendein Gesetz, das in Ägypten eingehalten wird??? So spontan fällt mir grad keines dazu ein. Das ist kein Witz, sondern traurige Tatsache.

Gegen das Vorgehen der Polizei – unschwer zu erraten – demonstrierten Hunderte von Menschen. Die Polizei reagierte umso brutaler und setzte nicht nur Tränengas ein, sondern schoss Schrotkugeln in die Demonstranten. Frauen wurden sexuelle belästigt, an den Haaren gezerrt und geschlagen. Männliche Demonstranten willkürlich geschlagen.

Aus Protest gegen die deplatzierte Gewalt der Polizei haben 10 Mitglieder des Verfassungskommitees ihre Arbeit niedergelegt und deren Vorsitzender hat den Innenminister aufgefordert, die festgenommenen Demonstranten umgehend wieder frei zu lassen.

Was heute geschehen ist, stellt für mich eine von vielen Wegmarkierungen auf dem holprigen Weg aus dem Dschungel von Korruption, Diktatur und Polizeigewalt in eine eigene Demokratie dar. Der Weg verläuft im Zickzack und jetzt grad wieder mit Riesenschritten rückwärts. Denn:

  • Die Ägypter gingen am 25.1.2011 wegen der Brutalität der Polizei auf die Strasse
  • Die Ägypter haben am 25.1.2011 Freiheit gefordert; Meinungs-, Rede- und Versammlungsfreiheit sind jetzt aber noch mehr eingeschränkt
  • Die Ägypter haben am 25.1.2011 Gerechtigkeit gefordert; die ist nun in weite Ferne gerückt.

Ist die Polizei blöd oder vergesslich? Glaubt das Innenministerium tatsächlich, sie könnten die Menschen mit Brutalität davon abhalten, auf die Strasse zu gehen und dort ihre Forderungen kundtun? Haben die da oben vergessen, dass die Menschen keine Angst mehr haben und umso zahlreicher auf die Strassen und Plätze stürmen, je brutaler die Polizei zuschlägt?

Ich begreife es nicht. Ich sehe nur, dass sich viele verschiedene Kräfte um die Macht in diesem Land streiten. Die Muslimbrüder sind jetzt aus dem Spiel. Wer steht sich jetzt gegenüber? Jene, um die es von Anfang an ging: das alte Regime und das Volk.

Fast wie im Spiel: die Karten sind neu gemischt, die verbleibenden Gegner sehen sich in die Augen: wer ist der Stärkere? Wie lange dauert der nächste Einsatz?

Mir graut und doch habe ich immer wieder Hoffnung, denn es könnte noch schlimmer sein: Ägypten ist nicht Syrien.


Montag, November 11, 2013

Hurghada – Marsa Alam mit dem Rennrad

Die Strecke von Hurghada nach El Quesir habe ich schon zwei Mal beschrieben (hier und hier). Im Oktober haben wir endlich eine Zwei-Tages-Fahrt nach Marsa Alam gemacht.

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Ich bin wach, noch bevor der Wecker läutet – ich habe schlecht geschlafen, wie immer, wenn ich früh aufstehen muss. Die Dämmerung kündigt sich an; schnell packe ich meine Kamera und reisse die Türe des Bungalows auf. In wenigen Schritten bin ich am Strand, gerade rechtzeitig um zu sehen, wie sich ein gleissender Feuerball aus dem Meer erhebt und den Himmel vom fahlen Dämmerlicht in ein leuchtendes Knallrot übertüncht. Überwältigt stehe ich da, lausche dem leisen Wellenschlag und beobachte dieses Naturschauspiel. Kann ich davon je genug kriegen?


Doch es eilt, mein Kamerad will um sechs aufs Rad und ich gehe zurück, um mich zu waschen und Zähne zu putzen. Der Wasserhahn bleibt trocken – meinen die, man brauche in der Nacht kein Wasser? – und ich helfe mir mit dem verbliebenen Mineralwasser.


Kurz später stehe ich in Radkleidung vor dem Frühstücksbuffet, das noch keines ist.

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Um halb sieben starten wir endlich; der Feuerball hat sich in die bekannte, unerbittlich herabbrennende Sonne verwandelt. Noch sind die Temperaturen angenehm, noch ist es kühl und wir rollen während einer Stunde stumm vor uns hin. Ich brauche Zeit, um wach zu werden, meine Beine fühlen sich müde an.




Plötzlich bemerke ich eine Bewegung rechts von mir und zucke zusammen: ein Hund läuft stumm, in ausgreifendem Galopp (kann man das bei Hunden sagen?) neben uns her. Normalerweise bellen die Hunde und verfolgen uns – der hier, oder besser: die Hündin hier, scheint sich einen riesigen Spass daraus zu machen, uns zu begleiten! Sie lässt nicht ab, wechselt hie und da auf den Asphalt oder auf die linke Strassenseite, sucht ein besseres Terrain, um mit uns Schritt zu halten. Fasziniert schaue ich ihr zu, wie ihre Vorläufe ausholen, ihr Körper sich athletisch streckt… 


Nach einigen Kilometern halten wir an, ich will ihr ein Biskuit geben und sie nimmt die Stärkung gerne an. Doch wir müssen weiter, es wird heisser und wir haben erst einen kleinen Teil der 135 km hinter uns gelassen. Wir treten wieder kräftig in die Pedale und die Hündin begleitet uns, doch sie fällt zusehends zurück. Sie schafft es nicht mehr, mit uns Schritt zu halten, obwohl sie lange nicht aufgibt. Immer wieder wende ich mich um, um zu sehen, ob sie noch da ist… irgendwann kann ich sie nicht mehr entdecken. Ich werde diese Begegnung wohl nie mehr vergessen.

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Ich rolle und rolle und rolle. Rauf und runter gehen meine Beine, meine Hände suchen eine andere Stellung am Lenker. Das lange Asphaltband dehnt sich in der Sonne aus, es krümmt sich nach rechts und links, es richtet sich auf, um sich über unendlich steile Hügel zu legen, nur um sich dahinter wieder frech hinabfallen zu lassen. Ich nehme die Wüste nicht mehr wahr, es gibt kaum Verkehr. Ich sehe nur dieses elend lange Asphaltband, die unzähligen Hügel vor mir und links in der Ferne das glitzernde Meer. 




Seit El Quesir stehen regelmässig Schilder mit Kilometerangaben am Strassenrand: Marsa Alam 85 km, Shalateen 335 km. Marsa Alam 80 km, Shalateen 330 km… Mir kommt vor, die Distanz verringert sich im Zeitlupentempo, während ich mit aller Kraft in die Pedalen trete. Erst viel später, nämlich kurz vor Marsa Alam, stellen wir fest, dass die Kilometerangaben überhaupt nicht stimmen. Von El Quesir nach Marsa Alam radeln wir 137 km, von Hurghada nach Marsa Alam sind es insgesamt 270 km.

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Muss es denn stetig auf- und abwärts gehen? Wir sind doch am Meer! Ich habe fürchterlich heiss und sehne mich nach kühlem Wasser. Dummerweise haben wir unseren Trinkwasservorrat über Nacht nicht gekühlt – das büsse ich… Kühlung von Innen wäre gefragt. Beim Aufstieg kurz vor Port Ghalib erblicke ich eine Tankstelle. „Kaltes Wasser“  schiesst es mir durch den Kopf. Doch weder im Tankstellenshop noch im Café daneben findet sich die begehrte Flüssigkeit – obwohl haufenweise Kisten mit Mineralwasser vor dem Café gestapelt sind. Die Kühlvitrinen sind verriegelt und drinnen finde ich niemanden. Naja, es ist Eid El Kibir, der höchste muslimische Feiertag, und der Typ wird wohl irgendwo schlafen… Enttäuscht schwinge ich mich wieder auf meinen Sattel.

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Wir kommen an der Abzweigung nach Port Ghalib vorbei und ich tröste mich mit dem Gedanken, dass ich heute Abend dort mit einem kühlen Bier sitzen werde. Wir rollen hinab, in die nächste Ebene und trampeln wieder hinauf, zur nächsten Erhebung.

Ich bin so müde, dass ich eigentlich vom Rad fallen müsste. Die Musik in meinem Ohr feuert mich an und sobald ich zuoberst auf einer Erhebung bin und vor mir die nächste Senke liegt, stürze ich mich freudig und mutig hinab… nur um einige Minuten wieder hinauf zu trampeln. Bei jedem Aufstieg falle ich weiter hinter meinem Rad-Kameraden zurück – ein Zeichen, dass meine Kräfte zu Ende sind.

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Plötzlich liegt Marsa Alam vor uns. Kein Strassenschild, völlig unspektakulär, ja fast enttäuschend erreichen wir unser Ziel. In einer Nebenstrasse verstauen wir unsere Räder im Begleitfahrzeug und ich schütte eiskaltes Cola und Wasser in mich hinein, um meine Betriebstemperatur zu reduzieren.

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Wir fahren retour nach Port Ghalib, wo ich zwei Tage bleibe, während mein Rad-Kamerad nach Hurghada zurückkehrt.

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Ich gestehe, dass ich am Tag danach so unendlich müde war, dass ich mich am liebsten nicht mehr bewegen, sondern nur sitzen, oder noch besser: liegen wollte. Und essen. Ich habe doppelt so viel gefrühstückt und zwei Mal zu Mittag gegessen und das zwei Tage lang.

Auf der Rückfahrt nach Hurghada (per Taxi) habe ich mich allen Ernstes gefragt, wie ich diese 270km in zwei Tagen per Rad fahren konnte – es ist mir noch immer Rätsel! Ich hab’s aber geschafft und ich bin stolz darauf.

Freitag, Oktober 25, 2013

Getrübter Blick

Die El-Sissy-Mania wächst unaufhaltsam. Der Armee-Chef wird zum Helden hochgejubelt und auf gleiche Stufe wie die ehemaligen Präsidenten Gamal Abd El Nasser und Anwar El Sadat gestellt. Sein Bild ziert Geschäfte, Autos, Busse und Häuser. Kaum einer fragt sich, was er denn bisher geleistet hat (ok, er hat Ägypten vor einem Muslimbruder-Kaliphat bewahrt, das ist viel wert), kaum einer nimmt wahr, dass Menschenrechte weiterhin mit klobigen Stiefeln hart niedergetreten werden.

Aus der Armee und aus dem Volk erklingen unüberhörbar Stimmen, El Sissy solle Präsident werden. Bisher hat er diese Forderungen abgelehnt, allerdings nicht sehr überzeugend. Der Armeechef könnte diese Forderungen und dieses Anhimmeln mit einer klaren Aussage beenden, tut das aber nicht. Der Mann ist sehr klug.

So klug, dass ich mich inzwischen frage, ob das, was im Januar 2011 geschah, überhaupt eine Revolution war. Es war wohl eher ein Aufstand, der vom Militär dazu genützt wurde a) Kronerben Gamal Mubarak samt seinem seit einer Generation am Thron klebenden Vater loszuwerden und b) die Muslimbrüder ans Messer zu liefern. Das macht Sinn, denn damit hat das Militär seine Machtposition gestärkt.

Das wäre an und für sich ja nicht schlecht, wenn es dem Volk dadurch besser ginge. Ägypten gleicht jedoch immer mehr einem rechtlosen Staat, in dem sich weder die staatlichen Institutionen, noch der Bürger an das Recht halten. Das fängt im Strassenverkehr an und geht weiter zum Tragen von Waffen und deren Einsatz bei kleinsten Meinungsverschiedenheiten bis hin zu Überfällen und Angriffen auf Polizeistationen. Was tut der kleine Mann? Wenn er kann, bewaffnet er sich auch. Er tut, was ihm passt.

Gleichzeitig schlagen  Innenministerium und Polizei knallhart zu. Letztere ist gestärkt, neu ausgerüstet und in grosser Zahl aus dem Nichts plötzlich wieder überall präsent. Ich beschränke mich mal nur auf Hurghada:

-        Plötzlich stehen überall wieder Polizeihäuschen, blau angemalt und grösser als die gemauerten, weiss getünchten Hütten von früher; die Polizisten sitzen da und tun nichts, wie früher. Weder bringen sie Ordnung in den Wildwest-ähnlichen Strassenverkehr, noch beschützen sie Touristen und Spaziergänger vor Anmache und Belästigungen durch Verkäufer.

-        Kürzlich wurden mitten in der Nacht Häuser und Wohnungen durchsucht; Menschen wurden aus dem Schlaf gerissen, halb angekleidet auf die Strasse gezerrt und zur Polizeistation gebracht. Die Polizei nahm alle fest, die keinen „Heiratsvertrag“ (gemischte Paare, bei denen einer Ägypter ist), keine Arbeitserlaubnis (Ägypter) und kein gültiges Visum (vor allem Russen) vorweisen konnten. Festgenommen wurden auch Drogenhändler und Prostituierte.

-        Einer meiner Studenten schildert mir eine haarsträubende Geschichte, wonach eine Frau – sie rief „Er ist mein Mann! Er ist mein Mann!“ -  nur in ein Bettlaken gehüllt auf die Strasse gezerrt wurde; der Besitzer einer Whisky-Flasche musste ebenfalls mit zur Polizei.

Auch wenn die betroffenen Menschen gegen das gültige Gesetz verstossen haben (wer schert sich denn in dem rechtlosen Land darum?), haben sie es nicht verdient, so behandelt zu werden. Wie es in den Gefängnissen aussieht, kann man im Internet nachlesen. In den vergangenen Wochen sind mehrere Ausländer in ägyptischen Gefängnissen gestorben, haben sich angeblich das Leben genommen oder wurden nach mehrwöchigem Gefängnisaufenthalt frei gelassen und haben darüber berichtet.

Einer meiner Freunde ist momentan in Alexandria. Er sagt, die Menschen hätten grosse Angst. Angst vor noch mehr Anschlägen der Islamisten, nun wieder Angst vor der Polizei und Angst vor der Zukunft. Seit drei Jahren hoffen die Menschen vergeblich auf Gerechtigkeit, Brot für alle und ein Leben in Würde und Anstand.

Die dritte (oder ist es die vierte?) Übergangsregierung seit 25. Januar 2011 arbeitet an einem Gesetz, welches das Demonstrationsrecht massiv einschränken soll. Sollte das Gesetz wirklich erlassen werden, gleicht das einem Pulverfass. Die Menschen haben mehr als die Nase voll und wenn sie ihrem Frust Luft verschaffen wollen, riskieren sie ihr Leben. Das ist das einzig Nennenswerte, das die jetzige Übergangsregierung zustande gebracht hat. Offenbar, ist es das grösste Problem Ägyptens!

Es gibt keine wirkliche Regierung, es gibt keine wirkliche Opposition: Es gibt nur noch El Sissy. Irgendwie kann ich die Ägypter ja verstehen: Sie klammern sich an einen starken Mann, an jede Hoffnung. Irgendwie verstehe ich sie aber auch nicht: Wie können sie vergessen, was die Armee ihnen alles angetan hat? Der nächste Aufstand ist vorprogrammiert – es sei denn, El Sissy nimmt nicht nur ein paar kosmetische Korrekturen vor, sondern bewirkt echte Verbesserungen für alle Ägypter.


Samstag, Oktober 19, 2013

El Minya – eine Provinz in Angst

In Mittelägypten leben viele Christen (Kopten und Anglikaner); ihr Bevölkerungsanteil liegt gemäss Schätzungen bei 35 %. Schon lange werden sie von Islamisten drangsaliert und eingeschüchtert. Besonders nach dem Freitagsgebet ziehen die Islamisten durch El Minyas Strassen, skandieren Drohungen und beschmieren Hauswände, Kirchenmauern und –türen mit christenfeindlichen Parolen. Ab 19 Uhr wagen sich Christen und auch viele Muslime nicht mehr aus dem Haus.


Während den Racheakten auf die Absetzung Morsis in den Monaten August und September haben sie landesweit dutzende von Kirchen angezündet und zerstört. Wohnungen, Häuser und Geschäfte von Christen wurden gebrandschatzt. Das reich bestückte Nationalmuseum in Mallawi wurde geplündert; was die Räuber nicht mitnehmen konnten, haben sie zertrümmert. Die Region ist archäologisch und geschichtlich von grosser Bedeutung – doch der Touristenstrom geht an ihr vorbei.

Kein Wunder. Die Polizei unternimmt sehr wenig, um die Christen vor den Pogromen zu schützen, oder unterstützt sie sogar.

Einer meiner Studenten, M.A., kommt aus El Minya. Er war zwei Wochen auf „Zwangsurlaub“ in seiner Heimat und als er zurückkam, hat er mir Bilder von dort gezeigt und erzählt:

„Meine ehemalige Schule und das Waisenhaus liegen in Schutt und Asche, nur die verkohlten Aussenmauern stehen noch. Als ich noch in El Minya lebte, habe ich mich um die Waisenkinder gekümmert. Wo sie jetzt sind? Ich weiss es nicht… irgendwo… überall verstreut.“

*****

„Die Islamisten haben christlichen Familien gedroht: entweder bezahlten sie Schutzgeld oder sie würden verjagt oder umgebracht. Jenen, die das Schutzgeld bezahlten, haben die Islamisten ein Metallschild auf die Haustüre genagelt – klar sichtbar.“

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„Einer meiner Freunde, ein Familienvater und Besitzer einer Apotheke, wurde auf einer Überlandstrasse gekidnappt: ein Auto hat ihm aus einem Seitenweg fahrend den Weg abgeschnitten. Fliehen war sinnlos, ein Gewehr wurde ihm auf die Brust gesetzt. Die Kidnapper verlangten ein Lösegeld von 300‘000 Pfund (ca. 30‘000 Euro). Die Angehörigen wandten sich an die Polizei und baten um Hilfe. Die Polizei meinte jedoch, sie könne nichts tun, die Familie solle das Lösegeld bezahlen. Verwandte und Bekannte trieben das Geld auf.

Niemand war aber bereit, den Kidnappern das Lösegeld zu übergeben und den Familienvater zu erlösen. Alle hatten Angst, ebenfalls entführt zu werden. Ein junger Mann von 21 Jahren bot sich in der Diskussion mit Familienangehörigen, Dorfbewohnern und dem Priester an, das Risiko auf sich zu nehmen. Ob er denn keine Angst hätte, fragten sie ihn. Er erwiderte, dass sein Leben in Gottes Händen liege und er deshalb keine Angst hätte.

Er fuhr mit dem Auto zum vereinbarten Ort und übergab das Lösegeld. Doch den gekidnappten Mann sah er nicht. Es hiess, er würde ihn antreffen, wenn er da und da hinfahren würde. Das machte er und mitten auf einem Feldweg fand er den Gesuchten.

Als ich den Mann später anrief, antwortete er überglücklich und erleichtert: Gott sei Dank, Gott sei Dank, Gott sei Dank bin ich am Leben und wieder bei meiner Familie. Alles andere ist unwichtig.“

*****

Eine der Städte El Minyas, Delga, wurde im September in einem Grosseinsatz von Polizei und Militär von den schwer bewaffneten Islamisten gesäubert. Andere Städte und Dörfer leben weiter mit den Drohungen, Verleumdungen, Angriffen und Schikanen.

*****

„Meine Mutter wollte mich nach sieben Uhr abends nicht mehr auf die Strasse gehen lassen! Aber ich bin doch kein Kind! Ich kann doch nicht so eingesperrt leben! Ich bin so froh, bin ich wieder in Hurghada, auch wenn ich kaum etwas verdiene. Aber hier ist es verglichen mit meiner Heimat wie im Paradies!“

M.A. rief mich mehrmals während seinem Aufenthalt an, er wollte mich dorthin einladen. Es gibt dort ein neues Viersternehotel. Ich hoffe, ich habe noch die Gelegenheit, diese geschichtsträchtige Region zu besuchen.

Hier die Bilder von M.A.:

Waisenhaus

Konsumgüter Komplex

El-Amir Tadros Kirche

verbranntes Auto nahe der Kirche

verbranntes Auto nahe der Kirche

Waisenhaus

 (Die inländischen Medien haben zur zögerlich über die Anschläge von August und September berichtet; völlig geschwiegen haben lange Zeit die westlichen Medien.)

Ergänzung:
M.A. hat mir einen Video und ein Bild der betroffenen Person, Dr. Hany Mona, mit der Bemerkung geschickt, die Welt solle erfahren, was hier geschieht. Der Video ist leider nur in Arabisch:

http://www.youtube.com/watch?v=Ie3KJHlVOHo&feature=youtu.be


Samstag, Oktober 05, 2013

Flüchtlingsdrama

„Weltweite Bestürzung über Flüchtlingsdrama vor der Insel Lampedusa“ lautet eine der Nachrichten von gestern.

Was die Flüchtlinge durchmachen ist ein Drama; die Reaktion der europäischen Länder und ihrer Politiker ist scheinheilig. Denn:

  • Die Flüchtlinge wären nicht ertrunken, wenn nicht auf sie geschossen worden wäre.
  • Es wäre nicht auf sie geschossen worden, wenn es dazu keine Befehle seitens der Regierungen der EU-Länder gäbe.
  • Es gäbe keine Schiessbefehle auf Flüchtlinge und auch keine Flüchtlinge, wenn in ihrer Heimat ein friedliches und anständiges Leben möglich wäre.
  • Ein friedliches Leben wäre möglich, wenn die Grossmächte die Kriegsparteien nicht finanziell und materiell unterstützen würden, um ihre eigenen Interessen zu schützen.
  • Wenn die Grossmächte nicht ihre eigenen Interessen schützen würden, sondern die Menschen, dann könnten Syrer und andere Völker in ihrem Land bleiben und würden nicht von Regierungstruppen, Rebellen oder Bootspatrouillen auf Hoher See, bei Angriffen auf Einkaufszentren oder Protesten erschossen.

So logisch ist das und deshalb sind es nicht die ersten Flüchtlinge, die in der Hoffnung auf ein anständiges Leben umgekommen sind, und sie werden auch nicht die letzten sein, solange die Prioritäten auf geopolitischen Strategien liegen und nicht auf Humanität. 

Scheinheiligkeit.


Fahrrad-Reparatur

Viele Wege führen nach Rom… oder: Geduld bringt Rosen… oder: Was lange währt, wird endlich gut. Unsere Sprache hält sinnige Redewendungen bereit, die alle zu meinem Thema passen.

Im Frühling kam ich hier mit einem teilweise neuen Rennrad an. Ich baute es nach dem Flug zusammen und alles funktionierte bestens. Doch genau dann, als ich mit anderen Radlern verabredet war, blockierte ein Schalthebel: ich konnte die Gänge nicht mehr wechseln. Eine monatelange Leidenszeit für mich und für mein Rad begann.

Mein Radkamerad baute das defekte Teil aus und wir schickten es zusammen mit meinem alten Rennrad nach Alexandria. Dorthin habe ich es verkauft. Der Verkaufspreis entsprach meiner Wohnungsmiete; in meiner Heimat hätte ich neben einem mitleidigen Lächeln zusätzlich noch abwertende Bemerkungen dafür erhalten.

Wie verschickt man ein ganzes Rennrad in Ägypten? Und wie erhält man das Geld? Die günstigste Variante ist mit einer lokalen Transportfirma. Wir fuhren zu so einer, lieferten Rad und Schalthebel ab und nach einem kurzen Telefongespräch mit dem Käufer erhielt ich den Verkaufspreis bar ausbezahlt! So sieht das Firmenlokal von Aussen und von Innen aus:



Einige Tage später suchte ich den Ort nochmals auf, um den reparierten Schalthebel wieder in Empfang zu nehmen. Nach einigem Suchen übergaben mir die Herren das kleine Päckchen. Mein Radkollege montierte den Hebel wieder an den Lenker, doch die Feineinstellung der Schaltung gelang nicht. Ich konnte leider nicht alle Gänge verwenden. Mein Rad-Mechaniker in der Schweiz meinte, da brauche es halt einen Fachmann und keinen Bastler! Tja, so einfach ist das eben nicht, wenn man in Ägypten lebt und der Fachmann nicht herfliegen will…

Also bestellte ich Ersatzteile in meiner Heimat. Eine Kollegin hätte sie mitbringen sollen, doch die Dinger kamen am Tag nach ihrer Abreise bei ihr an. Erst mehrere Monate später gelangten die Ersatzteile zu mir. Während all der Zeit suchte ich hier einen fähigen Mechaniker, fand aber niemanden. Also musste ich Rad und Ersatzteile erneut nach Alexandria schicken. Bei der Vorstellung, dies mit derselben Firma zu bewerkstelligen, graute mir. Wenn ich nur schon an das „Puff“ in dem Lokal dachte, an die Kleintransporter, in die alles wie Kraut und Rüben hineingeworfen, und ebenso ausgeladen wird…

Ich fand eine Transportfirma, die Lieferungen von Tür zu Tür macht, klärte Versicherungsfragen ab und bestellte sie nach einigem Zögern. Mein Rad legte ich eigenhändig in den Bus und nahm es zehn Tage später wieder heraus.

Wohl war mir während der Zeit nicht, ich schwankte zwischen Angst und Bange einerseits und ruhigem Zureden andererseits. Allein die Vorstellung, dass der Bus durch Kairo musste und dort Strassenschlachten zum Alltag gehören…

Umso grösser war meine Freude, als ich mein Zweirad wieder in Händen hielt: Sattel und Lenker zum Schutz vor Transportschäden fein säuberlich mit einer Plastikfolie umwickelt, Bremsen und Schaltung perfekt eingestellt. Hut ab, vor dem ägyptischen Mechaniker, der das so wunderbar gerichtet hat. Ein Fachmann - auch er!

Seither bin ich wieder unterwegs:




Es gibt immer eine Lösung, manchmal braucht sie einfach lange...