Dienstag, Februar 01, 2011

Noch ein Tag des Wartens

Lange habe ich geschlafen, es eilt nicht mehr aufzustehen. Im Moment, wo die Gedanken sich in der Wirklichkeit wiederfinden, kommt dieses lähmende Gefühl zurück.

Mein erster Griff gilt dem Knopf des Fernsehers. Al Jazeera bringt nichts Neues. Mehr Demonstranten, politisch keine Veränderung. Ich frühstücke, räume noch ein paar Sachen auf, ein Ohr immer beim TV, ein anderes beim Telefon.

In der Nacht hat sich die Nachbarschaft etwas belebt, Kairoer, die eine Wohnung oder ein Haus haben, sind her gekommen. In der Wohnung neben mir ist nun auch Leben.

Meine Mutter ruft mich wieder an und wir diskutieren etwas über die Lage. Hurghada ist nach wie vor ruhig. Anschliessend fahre ich knapp zwei Stunden Rennrad, am Checkpoint vorbei, diesmal ohne Probleme. Letztes Mal wurde ich noch angehalten und aufgefordert, mich auszuweisen (was ich nicht konnte!). Die einzige Gefahr für mich besteht seitens der Plastiksäcke, die im starken Wind herumgewirbelt werden. Gerät einer davon zwischen die Speichen oder die Kette, liege ich flach.

Eine Freundin ruft mich völlig aufgelöst an, ihre Tochter käme heute nicht zum Unterricht, sie sei zusammengebrochen. Sie möchte ihre Tochter am Wochenende ausfliegen und das Mädchen möchte um alles in der Welt hier bleiben. Gleichzeitig erfahre ich, dass eine Pro-Mubarak-Demo in Hurghada startet.

Es entfährt mir laut „auch das geht vorüber“. Die haben nun wirklich nichts mehr zu sagen.

Inzwischen sind in ganz Ägypten über eine Million Menschen auf den Beinen, alle mit dem einzigen Ziel: dieses Regime zu Fall zu bringen. Immer noch friedlich. Es ist überwältigend, wie sich die Ägypter vereinen, wohlgemerkt ohne Führung. Nun zeigt sich überdeutlich die wahre Mentalität der Ägypter. Genau deshalb haben sie Jahrzehnte ohne aufzubegehren durch gehalten.

Mein nächster Schüler bleibt auch aus, er meldet sich nicht einmal. Somit widme ich mich endlich mal meinen hundert Quadratmetern Fussboden und putze, unterbrochen von Telefonanrufen, in denen mir weitere Schüler bis auf weiteres absagen, und vom hoffnungsvollen Ausharren vor dem Fernseher.

Ich rufe meinen Arabisch-Lehrer an – auch er hat für die ganze Woche alles abgesagt. Ich melde mich noch bei einem weiteren Auftraggeber, für den ich Korrekturen machen soll, und frage, ob das Interesse und Bedürfnis für meine Arbeit noch vorhanden sei. Endlich mal eine positive Nachricht: ja, aber es eilt nicht, die Publikation der Zeitschrift wird verschoben.

Die Proteste gehen weiter, die Massen nehmen weiter zu, es ist unglaublich, überwältigend – andere Worte dazu finde ich nicht mehr. In Alexandria kommt es zu Gewalt. Es kann nicht mehr lange dauern, die Menschen geben nicht auf und auf diplomatischer Ebene bewegt sich etwas. Zudem steht die Armee nun klar auf der Seite des Volkes. Unverständlich, wie dieser Mann sich noch an etwas klammert, das er schon längst verloren hat. Und: immer mehr Ausländer verlassen das Land.

Das Schweizer Konsulat informiert mich, dass sie nun eine Ausreise empfehlen. Ich werde gefragt, ob ich in den nächsten Tagen beabsichtige auszureisen bzw. ob ich schon einen Flug gebucht hätte. Nein, habe ich nicht. Der Herr bestätigt, dass Hurghada noch immer ruhig und sicher sei. Was ich nicht sage: ich will jetzt nicht gehen. Es ist mir aber klar, dass ich das Land verlassen muss, wenn ich kein Geld mehr vom Automaten beziehen kann oder wenn ich keine Lebensmittel mehr kaufen kann.

Während ich diese Zeilen schreibe, berichtet Al Jazeera, dass Präsident Mubarak in Kürze eine Ansprache an das Volk richten wird. So lange halte ich heute Abend vor der Flimmerkiste aus.

Ich hoffe, wie so viele, dass es endlich zu dem verlangten Schritt kommt. Und dass es eine ordentliche Übergangsregierung gibt, woraus ein neuer demokratischer Staat entstehen kann und den Ägyptern ein menschenwürdiges Leben ermöglichen wird.

Für mich wünsche ich im Moment nur, dass ich wieder Zugang zum Internet habe, meine Berichte aufschalten und wieder mit der Welt kommunizieren kann.

Update:
Nach eineinhalb Stunden Warten erscheint Mubarak im TV: er tritt nicht sofort zurück. Die Proteste werden weiter gehen.

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